Bizarres Drama ist eine anspruchvolle Überprüfung der Inszenatoren sowie Zuschauer
Vít Závodský 1. Dezember 2009 zdroj Kam – Anlage
Regisseurin des Prager Theaters Divadlo v Dlouhé Hana Burešová (ihre von der Kritik gelobten Inszenierungen eröffnen schon regelmäßig die Saisons im Stadttheater Brno) und Dramaturg Štěpán Otčenášek mit Bildnern Tomáš Rusín und Zuzana Štefunková. An die bizarre Kammervorlage mit typischer thematischer Basis von Bernhard sowie mit formal ungewöhnlicher, sprachlich erfinderischer Struktur traten sie mit bedachtem Respekt heran und sie erlaubten sich nicht, größere Eingriffe in die Übersetzung des erfahrenen, im Sommer leider verstorbenen Germanisten Josef Balvín zu machen.
Die Handlung, die scheint auf der Stelle zu treten, variiert das beliebte Thema des Autors – dominanten „Weltberichtiger“, der seine Umgebung überlastet und sie mit seiner eigenen Zwangvorstellung vergewaltigt. In diesem Fall handelt es sich um den alt werdenden Direktor eines kleinen Zirkus Caribaldi, der schon für zweiundzwanzig Jahre (!) die untalentierten und überdrüssigen Mitglieder seiner variablen Gruppe dressiert um das berühmte Forellenquintett von Schubert zusammen einzustudieren. Diese im großen Ganzen statische, in langen Monologen, Repetitionen und kuriosen Dialogen nur wenig variierte Situation läuft in gewissen Spiralkreisen vor. Ihre unfreiwillige, frustrierte und also auch absurde Akteure sind der unterwürfige Jongleur in der Darbietung von Viktor Skála, der von einem Raubtier verletzte Dompteur in der Darbietung von Igor Ondříček, der als ein Clown maskierte Spaßmacher in der Darbietung von Michal Isteník und die Artistin – Enkelin des Prinzipals in der Darbietung von Barbora Jelenová. Eine natürliche Achse des zwei Stunden langen Nonstopabends ist – auch bei den graduierten, possenhaften Momenten, welche die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf Maximum spannen - die außergewöhnliche Leistung von Jan Mazák (voriges Jahr war er Adept an den Alfréd Radok Preis für seine Kreation nach Deml im Theater U Stolu). Vor allem mittels dieser Figur des durch seine fixe Vision besessenen Tyrannen demonstriert die Regisseurin in den Intentionen des Dramatikers nicht nur das existenziell dringende Thema der Krankheiten, des Alters und Verfalls, sondern auch den gespannten Kontrast, welcher Banalitäten und unerfüllbare Sehnsüchten nach erhobenem Ziel der absoluten Vollkommenheit betäubt, oder auch die Ambivalenz der Realität, und vor allem das raffiniert stilisierte Bild der Unfähigkeit, miteinander in der Gesellschaft zu kommunizieren. Nach dem Besuch der anspruchvollen Inszenierung Die Macht der Gewohnheit haben wir wirklich viel, worüber wir nachdenken sollten.
Unnütze Bemühung hinterließ die Spuren
Zdeněk Hořínek 3. November 2009 zdroj Theaterzeitung
Thomas Bernhard geht es gut bei uns. Nach den Inszenierungen von Pitínský Ritter, Dene, Voll und Der Theatermacher und nach Heldenplatz von Nvota wurde zu einem neuen außergewöhnlichen Ereignis die im Stadttheater Brno aufgeführte Inszenierung Die Macht der Gewohnheit von Hana Burešová.
Das Stück ist nicht weniger seltsam als die meisten Stücke von Bernhard – zwei Stunden lang beobachten wir peinliche Versuche von fünf Komödianten, Schuberts Klavierquintett A Dur, Forellenquintett genannt, einzustudieren. Bernhards Meisterschaft besteht unter anderem auch darin, dass die Handlung bei ihrer allen Wiederholung ihren suggestiven Zug nicht verliert, welcher wahrscheinlich in schlagender Rhythmisierung der Textmelodie besteht. Die Verbindung der Musik und des Dramas ist eng, auch wenn widersprüchlich und teilweise ironisch. Die einzelnen Gestalten sind professionelle Typen und Charaktere mit typischen und charakteristischen Ausdrucksmitteln.
Der Anfang gehört dem Jongleur in der Darbietung von Viktor Skála. Alle Bestandteile der Gestalt sind im perfekten Einklang: das Kostüm (rosiger Sakko und Hemd derselben Farbe) antizipiert eine gewisse Weichlichkeit, die der Schauspieler mit seiner schmeichlerisch einredender Diktion, Schlängelbewegungen und zerstreuten Gesten bestätigt. Er wischt ständig nicht nur seinen kahlen Kopf, sondern auch alle, samt und sonders verstaubten Gegenstände des weißen Innenraums. Seine zwingende Pedanterie entspricht genau seiner Profession, welche maximalle Konzentration erfordert. Skálas prächtiger Antritt, der bei der Premiere mit einem Applaus auf offener Szene belohnt wurde, ist nicht nur eine Glanznummer. Er enthüllt auch den grundsätzlichen Widerspruch der Situation, Unzufriedenheit der Zirkusarbeiter mit dem diktatorischen Direktor und ihre vergebliche Bemühung, seinem manipulatorischen Willen zu entweichen. Bei dem Jongleur handelt es sich um die Illusion, sein Engagement zu ändern und nach erträumtem Frankreich zu flüchten.
Die Scheu vor obligatorischem Musizieren hat bei dem Dompteur in der Darbietung von Igor Ondříček mit dichter schwarzer Perücke (unter der sich wieder ein kahler Kopf verbirgt) und in geöffneter roter Jacke (aus der ein fauler bacchantischer Bauch auslugt) durchaus gewaltigen Charakter. Dieser aggressive Primitive drück ganz rückhaltlos seinen Hass zum Klavier (den er mit einer Hacke zerstören wollte und den er jetzt mit umgewickelten Hand boykottiert) aus und mit seinem rüpelhaften Vernehmen demonstriert er seine antiästhetische Stellung. Geschmacklos beißt er aus einem großen Radieschen ab, rülpst, stößt aus und wirft dem Spaßmacher Stücke Fleisch wie einem zahmen Raubtier.
Michal Isteník, als ein Clown maskiert, führt mittels bewehrten Repertoires von Clowngags, Purzelböcken und Fällen eine Meistercharakteristik des naiven Clowns vor. Seine Opposition gegenüber seinem Herrn wirkt sich nur durch peinlichen, unwillkürlichen sowie absichtlichen, zur Unerträglichkeit sich wiederholenden Mützefall aus. Sein großer Mund dient hauptsächlich dazu, die ihm geworfene Bissen zu fangen, sein Text beschränkt sich nur auf einige Stücke von Refrains der rhetorischen Reden des äußerst beredsamen Direktors.
Ähnlich ist es auch bei dem letzten, gehorsamsten Mitglied des Ensembles- Enkelin. Der Direktor richtete sie (unter ergiebiger Zuhilfenahme des Bewegungsmitarbeiters Jiří Bilbo Redinger) zu solcher Tüchtigkeit ab, dass wir die blutjunge Barbora Jelenová für geschulte Balletttänzerin halten. Mir mechanischer Schwingung der Beine erinnert sie eher an eine gehorsame Marionette als an eine lebende Person, mit zeitweiligem heimtückischem Lachen und andauerndem Popeln in der Nase lässt sie doch eine gewisse Gleichgültigkeit, sogar Unlust zur obligatorischen Dressur und zu Liebkosen seines Großvaters merken.
Frei und ledig von Innenkonflikten ist nicht einmal der Größenwahnzirkusdirektor Caribaldi, wie er von Jan Mazák unermüdlich dargestellt wird. Am Anfang sehen wir ihn unterwürfig; in liegender Stellung auf dem Bauch sucht er das sich immer verlierende Kolophonium. Zerzaust, in popligem Frack und verschmutztem Vorhemd ist er bei dem Anfangsdialog mit dem Jongleur in der Defensive, aber dann bringt er den Mut auf und nimmt eine Herrscherposition ein. In unendlichen Monologen appelliert er, kritisiert, klagt, erinnert, lamentiert, eifert.
Im Kontrast zur Emphasis seiner souveränen Rhetorik sind Merkmale der Zerstreutheit, Zimperlichkeit, Gereiztheit, Ermüdung und vor allem der ständigen Duldermiene im Gesicht des Schauspielers zu sehen. Langdauernde, mehr als zwanzig Jahre lange vergebliche Bemühung, Schuberts Forellenquintett einzustudieren, ließ ihre Spuren – in einer schwachen Stunde verrät dieser Musikliebhaber, dass auch er sein Instrument (berühmtes Cello, eigentlich Cellos, auf denen er nur einige nicht zusammenhängende Töne abzulocken weiß) und sogar das erträumte, doch nicht unnahbare Quintett hasst. Aber was ist zu tun: man muss spielen (sowie leben). Wenn das Talent fehlt, dann mindestens mit Macht der Gewohnheit.
Falls der Rezensent dadurch, was auf der Bühne geschieht, gezwungen ist, vor allem über schauspielerische Leistungen zu schreiben, ist es kein Zufall. Verborgene, doch feste Hand der Regisseurin setzt sich doch nicht nur in der komplizierten, vorwiegend ambivalenten Auffassung und in der, was die Mittel betrifft, außergewöhnlich erfinderischen Behandlung der schauspielerischen Gestalten durch, sondern auch in genauer Organisation der Handlung auf der Bühne, also im Prozess, in dem Erregung und Dämpfung, Gradation und Degradation wechseln, im Prozess, der trotzt ständiger Wiederholung die dramatische Spannung und Überraschungskraft nicht für eine Weile verliert.
Diese unbarmherzige Analyse der menschlichen Stellungen und Handlungen in der Situation der ewigen, freiwilligen sowie unfreiwilligen, Bemühung um das Unmögliche, um die Erreichung der unerreichbaren Vollkommenheit, enthält doch auch eine gewisse Andeutung der Hoffnung und des Sinns. Nach dem unharmonischen Furioso öffnet sich der Horizont des Sternhimmels und klingen die Töne der beinahe vollkommenen Musik von Schubert.
Wir wollen das Leben nicht, aber das Leben muss man leben
Jiří P. Kříž 26. September 2009 zdroj Právo
Im Stadttheater Brno wurde diesmal Die Macht der Gewohnheit von Bernhard durch Hana Burešová in Szene gesetztDie Macht der Gewohnheit von Thomas Bernhard im Stadttheater Brno und in der Regie von Hana Burešová, der diese Szene sehr gut zusagt (ich persönlich habe nur ihre Die drei Musketiere nicht angenommen, und zwar zusammen mit einigen meinen Kollegen - Kerber, Uhde), wird angeblich von einem Teil des Publikums verlegen angenommen. Nun, es gibt kein einziger Mensch an der Welt, der allen Leuten gefällt.
Es ist doch kein Wunder. Was die Aufführung der Stücke dieses ausgezeichneten österreichischen Dramatikers betrifft - der sich im ideologischen Konflikt mit seiner Heimat befindet, wo er die Aufführung seiner Texte in seinem Testament verbat, blieb Brno ein bisschen zurück. Vielleicht zuungunsten einer empfänglicheren Auffassung der Philosophie dieses weltweit bekannten Autors.
Schuberts Forellenquintett spielen
Aus der Inzuchtlinie des Streites einer ausgeprägten Persönlichkeit mit klarer Vision - mit allen möglichen Mitteln durchgesetzt - mit der Gesellschaft, zu seinen Idealen apathisch oder immun (Der Theatermacher, Minetti, Der Weltverbesserer, Ein Fest für Boris, Die Berühmten, Immanuel Kant), wurde am Ufer des Flusses Svratka nur das letzt genannte Stück aufgeführt.
Die Macht der Gewohnheit geht von einer absurden Verbindung der Mikrowelt eines minderwertigen Zirkus mit gut bekannten artistischen Nummern oder Bändigernummern mit großer Kunst aus.
Der Direktor und Amateurvioloncellist Caribaldi nimmt sich nämlich vor, seine Mitarbeiter dazu zu zwingen, ein musikalisch perfektes Forellenquintett von Schubert einzustudieren. Er versucht es vergeblich schon seit zweiundzwanzig Jahre.
Burešová ist ein Meister der Interpretation und auch der allegorischen Darlegung der Spielereien von Bernhard, deren Absurdität aus einem Zauberkreis des Stereotyps entspringt, in dem die "Künstler" nichts anderes schufen, als ihre Instrumente zu stimmen und nicht zu viel harmonischer Klang zu entlocken. Durch den Übergriff dieser Bemühung wird ein Fächer der Meinungen bezüglich der klassischen Musik, sondern auch die Bemühung um die Erreichung eines edeln Ziels seitens des Einzelnen auch zum Preis des psychischen und physischen Terrors entdeckt....
An Balvín gewidmet Ein perfekter, auf den ersten Blick verrückter doch in Wirklichkeit trauervoller Abzug des Gegensatzes der Wille zu Kunst und der Unneigung dazu ist Caribaldi in der Darbietung von Jan Mazák. Wievielte große und sträflich unbeachtete Leistung diese seine Rolle ist?!
Burešová wählte zu ihm die ebenso tüchtige Mitspieler: Jongleur Viktor Skála, Enkelin Barbora Jelenová, Dompteur Igor Ondříček und Spaßmacher Michal Isteník.
Die tschechische Prämiere Der Macht der Gewohnheit wurde von ihren Autoren und vom Stadttheater Brno an Josef Balvín, dem Hofübersetzer von Bernhard und der Seele des Prager Festivals der deutsprachigen Theater gewidmet. Er starb dieses Jahr in den Ferien (am 16. August), auch in der sog. seriösen Presse unbeachtet.
Des ungewöhnlichen Stücks entledigten sich die Brünner mit Ehre
Luboš Mareček 22. September 2009 zdroj MF Dnes
Die ungewöhnlichen und originellen dramatischen Werke von Thomas Bernhard wurden in den letzten zwei Dekaden auf den tschechischen Bühnen heimisch. Jedes noch nicht aufgeführtes Werk dieses bedeutendsten Literaten des Nachkriegs-Österreichs gehört zu erwarteten Ereignissen. Nicht anders war es bei der tschechischen Prämiere der Komödie Die Macht der Gewohnheit, die im Stadttheater Brno von Hana Burešová einstudiert wurde.
Der Titel aus dem Jahre 1974 ist gegenüber den Zuschauern nicht zu viel entgegenkommend, was doch nicht bedeutet, dass er begrifflich oder unverständlich ist. Absenz der Geschichte, seltsame Monologik, Vorliebe in Refrainwiederholung des Textes, in dem die Interpunktionszeichen völlig fehlen: dass sind nur einige Autorenfinessen des Mannes, der mit seinem Werk das zum Schein behäbige Österreich ständig zu kräuseln wusste.
Lächerlich, abscheuerregend, sympathisch
Der Grundriss dieses neuen Werks Die Macht der Gewohnheit ist einfach und bizarr. Der Zirkusdirektor Caribaldi zwingt seine Untergeordneten zweiundzwanzig Jahre lang, das Forellenquintett von Schubert zu studieren, obwohl es klar ist, dass diese Amateure nie schaffen, diese strahlende Nummer der klassischen Musik zum Ende zu bringen. Auch der hartnäckige Despot Caribaldi weiß nur ein paar Töne auf seinen lieben Violoncellen zu machen. Seine Artisten haben für die Musik keine Vorliebe und sie hassen unendliche Prüfungen. Die ganze Bemühung hat keinen Sinn und es ist ihre Zwecklosigkeit klar, auch trotz des edeln Ideals des Direktors, anstelle der abgestandenen Zirkuswitze fünf wunderbar gestimmten Musikanten und eine perfekte Komposition vorzustellen.
Bernhards Texte, die scheinen, nicht zu Ende gebracht zu sein, stellen eine große Probe für die Regisseure sowie für das Ensemble dar. Das Inszenierungsteam von Hana Burešová bestand in dieser Probe. Die Regisseurin baute diese zwei Stunden lange Schau, deren innerer Zug sowie Kraft Gradation haben, sehr sorgfältig aus. Anders gesagt: sie weiß die Aufmerksamkeit der Zuschauer und ihr Interesse um die ungewöhnlich undramatische Handlung auch ohne Pause zu halten.
Die Macht der Gewohnheit ist mehr als alles anderes eine schauspielerische Inszenierung, die um die ausgezeichnete Leistung von Jan Mazák in der Hauptrolle umläuft. Der Protagonist wusste den Doppelcharakter Bernhards Welt zu erfassen. Er ist lächerlich, abscheuerregend, aber mit seiner Sehnsucht nach Vollkommenheit manchmal auch sympathisch. Der äußerst anspruchvolle und lange Text wird von Mazák mit lauter Ekstase eines Megalomanns präsentiert; er zeichnet die innere Welt des verrückten Caribaldi auch ohne Psychologismen sehr sorgfältig ab. Das Quartett der übrigen Leistungen ist eine Stütze für den Schauspieler und eine weitere Qualität des Abends, sowie die weiße Szene von Tomáš Rusín oder die mit ihrer Farbigkeit und Schnitten einfallsreichen Kostüme von Zuzana Štefunková.
Traurige Komödie über psychischen Terror
Peter Stoličný 21. August 2009 zdroj www.divadlo.sk
Es gibt wieder eine neue Prämiere in Brno, und zwar auch nicht die erste beste. Das Werk des österreichischen Schriftstellers und Dramatikers, in seiner eigenen Heimat mit Skandalen umwoben, wirkt im tschechischen Raum nicht so viel ausgeprägt, als wenn es im Wiener Burgtheater aufgeführt wird; es handelt sich doch um eine Inszenierungshandlung, die nicht zu übersehen ist.
Thomas Bernhard wird in seiner Heimat für einen "Nestbeschmutzer" gehalten. Vor allem im letzten Jahrzehnt vor seinem Tod (1989) ließ er an Österreich kein gutes Haar, er nannte seine Heimat "ein katholisch-sozialistisch-nationales Land der Dummköpfe". Viele putschten ihn auf, doch er hatte noch mehrere Feinde. Er schien, mit seinen Exzessen die Konflikte absichtlich auszusuchen, die Zelebritäten des österreichischen Himmels absichtlich zu lästern.
Worin stecken eigentlich die Genialität von Bernhard und die Gründe für seine Verdammung? Diese Genialität ist unbestreitbar. Sein Werk ist voll von Gefühlen der Verlassenheit, Einsamkeit unter den Menschen, Hoffnungslosigkeit und Skepsis; sie werden doch in brillanten Monologen und Dialogen präsentiert, denen der Perfektionalismus nicht abgestritten sein kann. An der anderen Seite entdeckt der Autor kompromisslos die menschlichen Schwächen, den allgegenwärtigen Tod, dem niemand entgeht, die Vergeblichkeit der menschlichen Handlung und Bemühung. Wer weiß, ob ihn dazu seine schwere Lungenkrankheit führte, die ihm schon von seiner Kindheit an nicht erlaubte gut einzuatmen, oder ob er es aufgrund seiner Erlebnisse und erlebtes Martyriums in der Schule (gruselige Maschinerie) oder in den Krankenhäusern (wir warten auf den Tod) machte, aber ganz sicher hatte auf Bernhards Sicht auf die Welt und Gesellschaft die von Österreich freiwillig unterschriebene Hitlerdoktrin Einfluss. (Vielleicht den größten Skandal ruf in Österreich sein Stück Heldenplatz hervor, das zum Stigma des Anschlusses zurückkehrt.) Die perfekt ausgebauten Dialoge dieses Dramatikers wenden sich zu den grundlegenden Fragen des Daseins und... zum Tod, der alles auslösen wird und der Schluss ist. Sie sind appellativ, provozierend.
Das in Tschechien meistens ausgeführte Stück von Bernhard ist ganz sicher Der Theatermacher (Unvergesslich bleibt in der Titelgestalt Martin Huba im Theater Na zábradlí in der Regie von J. A. Pitínský, wenn ich mich nicht irre, es war im Jahre 1999. Für diese Rolle wurde ihm der Alfréd-Radok-Preis erteilt). Bernhards Abgeneigtheit zu allem angeordneten ist auch aus diesem erfolgreichen Stück zu fühlen. Er hasst die Zuschauer, er achtet die Schauspieler gering, über das Institut des Theaters selbst schrieb er: Das Theater ist nur ein Schwachsinn und Schweinerei, Erbärmlichkeit der ratlosen Mime. Auf allen Bühnen herrscht das Königreich des Dilettantismus und aus der Bühne ist nichts anders zu fühlen, als der Geruch aus den Mäulern der Bürokraten.
Es ist die Frage, inwieweit Bernhard ein Provokateur und inwieweit arg aufrichtig und hassend war. Eins ist doch sicher. Seine Romane und dramatische Werke lassen niemanden in der Ruhe. Sie erregen durch ihren Realismus in der Welt, wo alles übertrieben, hyperbolisch ist. Wenn es nicht die Phrase aus der Zeit des Ausbaus der sozialistischen Kultur wäre, könnte man sagen, dass der Autor einen krummen Spiegel der gegenwärtigen Gesellschaft, und nicht nur jener österreichischen, vorhält.
Die Macht der Gewohnheit ist ein Stück, das auf den Bühnen nicht so oft aufgeführt wird wie zum Beispiel Der Theatermacher. Es ist noch nicht weniger appellativ. Und es gibt den Raum für ausgezeichnete schauspielerische Leistungen. Deshalb kann man die Inszenierung im Stadttheater Brno nur annehmen.
Die Geschichte ist ziemlich einfach: Sie spielt im Büro (oder im Zirkuswagen?) des Zirkusdirektors Caribaldi. Dieser entschied sich vor mehr als zwanzig Jahren das Forellenquintett von Schubert mit seinen Zirkusmännern aufzuführen. Aber Jongleur, Dompteur, Spaßmacher und Enkelin des Direktors haben kein Talent. Sie studieren das Quintett nur aus Zwang und mit Hass. Dieser ihre Hass zu Caribaldi und seine Besessenheit mit Einübung der Kammerkomposition bilden manche komische Situationen. Die Macht der Gewohnheit ist über die Sehnsucht nach vollkommener Perfektion, die im Widerspruch zu banaler und frecher Gewalt, zu rücksichtsloser psychischer Vergewaltigung der "Mitarbeiter" steht. Und diese wissen nicht sich zu widersetzen, sie unterliegen dem Diktat wie wehrlose Schafe.
Der Hauptprotagonist ist, ähnlich wie in anderen Stücken dieses Autors, ein dominanter Mann. Er erniedrigt, diktiert, ist ermüdet und gleichzeitig energisch, er ist ein rücksichtloser Egoist. Und die Menschen um ihn herum sind nur die Figuren, welche seine wahnsinnigen Wünsche sklavisch erfüllen. Nichts in ihren Leben hat einen Wert, nichts hat eine Bedeutung und es gibt hier keine Hoffnung, dass es sich ändern könnte.
Ich glaube, dass Meister Bernhard nicht ahnte, wie seltsam und vielleicht auch etwa anders sein Stück in einem postkommunistischen Land wirken wird. Also: wie es von der Generation angenommen sein kann, die die Totalität hautnah erlebte. Weil wir den heutigen Zwanzigjährigen oder sogar Dreißigjährigen vergeblich erklären werden, was und wie es war. Das musste man erleben - keine Erzählung kann es ersetzen. Uns, die vor zwanzig Jahren schon längst erwachsen waren, läuft bei der Handlung Bernhards Gestalten kalt über den Rücken. Es gibt viele Wahrheit in diesem Clownspiel, bei dessen Verfolgung wir über unsere, zum Glück schon vergangene Vergangenheit lachen können. Jene grausame und lächerliche Besessenheit des diktatorischen Caribaldi macht uns Spaß, und zwar auch trotz dem Frieren, das sie erweckt.
Ein großes Verdienst auf der Vermittlung des so suggestiven Textes gehört der Regisseurin Hana Burešová. So wie im Prager Theater Divadlo v Dlouhé, so wie auf vielen Bühnen der tschechischen Theater präsentierte sie sich hier als ein erfindender Schöpfer, mit Sinn für Detail, mit empfindlicher Führung der Schauspieler auf der Kante zwischen dem psychologischen Drama und dem Clownstück. Sie hatte doch eine wirkungsvolle Stütze in der schauspielerischen Besetzung. Sicher auch dank dem Dramaturgen der Inszenierung Jiří Záviš, der sein Ensemble perfekt kennt, gelang es ihr, die Bühne mit lebendigen, dankbaren Gestalten zu füllen.
Jan Mazák in der Hauptgestalt des Zirkusdirektors überraschte dann mit seinem ungleichartigen Register. Er spielte doch schon die liebliche Dafne im Musical Manche mögen's heiß und auf der anderen Seite seiner schauspielerischen Skala war zum Beispiel Peer Gynt. In Der Macht der Gewohnheit zeigte er sich dann als der Meister der totalitären Praktiken. Er war keine Figur (zu der die Rolle verführt), sondern eine vollwertige Gestalt, unglücklich in seinem unendlichen Egoismus.
Der kriecherische Jongleur in der Darbietung von Viktor Skála sowie der traurige "Spaßmacher" von Michal Isteník waren wunderschöne Studien von unterschiedlichen Formen, wie in einer Totalität überleben. Sie lebten wirklich nicht, sondern nur überlebten, jeder auf seine eigene Weise.
Andere zwei starke Gegensätze waren die Gestalten des Raubtierdompteurs in der Darbietung von Igor Ondříček und der zerbrechlichen Enkelin des Zirkusdirektors von Barbora Jelenová (ich habe sie im Stadttheater Brno noch nie gesehen). Ondříček, Dompteur, der mit seiner starken Faust alles zerquetschen sollte (leider durchbiss ihm ein Raubtier die Hand), dämpft den Zorn in sich und weiß sich nicht zu empören. Die Enkelin, das ist ein "Mädchen mit Schlüssel gesteuert", das alle Befehle blind erfüllt. Mehr eine Figur als die Gestalt - aber offenbar soll es so sein; die Regisseurin Burešová wünscht sich, dass sie so ist.
Fünf Schauspieler im funktionellen, weißen Inszenierungsraum (Szene von Tomáš Rusín) spielten ihren Part wirklich gut. Auch wenn die Zuschauer mehrere Gelegenheiten hatten, aus voller Brust zu lachen, das Ergebnis des Stücks ist eiskalt... Und vielleicht für uns, die die totalitären Manieren der Macht erlebten und überlebten, war dieses Erlebnis noch eiskalter, als der Autor sich vorzustellen wusste. Dank der Zeit, die wir überlebten, dank den Schauspielern und dank der Regisseurin, der es gelang, diese traurige Komödie auf der Schauspielbühne des Stadttheaters Brno zu realisieren.