TUGENDHAT ALS GLASRAUM DER WELT
Luboš Mareček 29. September 2015 zdroj Lidové noviny
(…) Ähnlich wie Mawer will auch der Regisseur Moša eine gewisse, allgemein geltende Geschichte über Suche nach Glück, Liebe und Stelle in der Welt in den Zeiten, wann die menschlichen Schicksale von unseligen und dramatischen Ereignissen bestimmt wurden, erzählen (…) Primär dreht sich die Geschichte um das Ehepaar Landauer, das von Petr Štěpán und Pavla Vitázková dargestellt wird. Štěpán baut mit seiner anscheinend robusten, doch innerlich durchgedachten schauspielerischen Kunst das Portrait eines gutmütigen, in seinem Beruf tüchtigen Mannes, der zwischen zwei Frauen schwankt. Sein Landauer ist mit Sehnsucht nach Liebe besessen; gleichzeitig ist er ein Pragmatiker, der die ungünstige geschichtliche Entwicklung abzuschätzen weiß. Die große Rolle von Liesel Landauer bekam Pavla Vitázková. Die Schauspielerin hat Glanz, bietet ein überzeugendes Bild einer gut situierten Dame, die mehr als nach einem tollen Haus nach der Liebe ihrer Nächsten sehnt. Svetlana Janotová stellt ihre Katalina als Mädchen dar, das prostituiert um ihr eigenes Kind ernähren zu können, das noch nach Glück und Liebe ebenso wie die Menschen in höheren gesellschaftlichen Schichten sehnt. (…) Die Inszenierung Glasraum funktioniert in Brno wie eine historische Saga mit einigen Liebesdreiecken sowie wie allgemeine Darstellung der unerfindlichen Gesichter der Liebe und der geschichtlichen Wenden. Ein für Zuschauer denkbarer Mehrwert ist ihr anonymer, leicht lesbarer Kolorit von Brno.
AUF DER BÜHNE WURDE DER „GLASRAUM“ VERKÖRPERT
Vít Závodský 20. April 2015 zdroj Týdeník Rozhlas
Der britische Biologe und Schriftsteller Simon Mawer hat eine enge professionelle und persönliche Beziehung zu der mährischen Metropole (auch dank dem Genetiker Gregor Mendel). Es war also nur eine Frage der Zeit, wann die dramatische Bearbeitung des Buch-Bestsellers Der Glasraum (2009) auf der Bühne des Stadttheaters Brno erscheint. Dieser wurde von Lukáš Novotný übersetzt und bei Teilnahme des zufriedenen Autors vom hiesigen Direktor Stanislav Moša als Weltpremiere aufgeführt.
Als primäre lokale Inspiration diente die weltberühmte funktionalistische Villa Tugendhat, für einen reichen Industriellen vom avantgardistischen Architekten Mies van der Rohe entworfen. Dieses rationalistisch aufgefasste Haus wurde dann durch die fiktive Geschichte seiner Bewohner, Familie des Fabrikanten Landauer und ihrer Freunde, belebt (die Familie Tugendhat erhob dagegen einen Widerspruch). Moša bearbeitete den Roman sehr geschickt und gab der Handlung auch seine eigenen Auslegungsakzente: er erhielt alle wesentlichen Angaben und die kompliziert gebauten Schicksale vieler Gestalten verfolge er in Verbindung mit den damaligen Weltereignissen (Anritt des Nazismus mit rassistischer Judenverfolgung, totalitärer Zeitraum nach Februar 1948, Prager Frühling), bei uns sowie auf vielen Stellen im Ausland vom Ende der zwanziger Jahren (mit dem Architekten Abt in der Darbietung von Rastislav Gajdoš) bis zur sowjetischen Okkupation im Jahr 1968.
Der beinahe dreieinhalb Stunden dauernde Abend mit der Kreiskomposition wurde von Moša mit scharfen Schnitten in fünf und fünfzig kurzen, durch Licht modellierten Sequenzen geteilt, die mit symbolischen Kontrasten sowie Simultaneität arbeiten; während die erste Hälfte der Vorstellung mit Doppelbedeutung einiger Repliken oder Situationen dynamisch abläuft, geht in der zweiten Hälfte die Konzentration des Zuschauers wegen der Notwendigkeit, die Handlungs- oder Erinnerungsperipetien unterschiedlich zu „referieren“, verloren.
Mit wirkungsvoller Evokation des magischen Wohnraums und Abbild seiner luxuriösen Ausrüstung wusste sich der erfahrene Bühnenbildner Christoph Weyers gut zu helfen, wenn er durch die japanische Origami-Technik in der Form von Silhouetten schnelle Verwandlung vieler Destinationen ermöglichte. Bei vielen blitzschnellen Umkleidungen fanden die zeitgemäßen Kostüme von Andrea Kučerová sehr gute Anwendung. Die meisten Mitwirkenden stellen immer mehrere Figuren dar. Die gut individualisierten Protagonisten des tolerant veränderlichen Dreiecks (Pavla Vitázková, Petr Štěpán, Ivana Vaňková, Svetlana Janotová) haben ihren Gegenpol im abstoßenden plebejischen Chamäleon Laník in der Darbietung von Michal Isteník, Träger des Thalia-Preises. Das Genus loci des außerordentlichen Gebäudes mit melodramatischen Leben ihrer Bewohner wurde im Stadttheater Brno in eine ausgewogene Einstudierung übertragen.
GLASRAUM
Jiří P. Kříž 31. März 2015 zdroj Xantypa
(…) Brite Simon Mawer flog als Supernova über den Horizont aus. Sein zweiter Roman ist schon weltbekannt. Nicht nur deshalb, weil im Zentrum seiner Aufmerksamkeit die Villa Tugendhat steht. (…) Mit dem Einfall, die Geschichte der Besitzer der Villa und der Leuten um sie herum sowie die Zeit, die ihre Schicksale beeinflusste, auf die Bühne zu bringen, kam das Stadttheater Brno. The Glass Room ist eine literarische Fiktion mit klarer Inspiration, konkreten Menschen und Realien, Glasraum ist ein Theaterstück und hat seine eigene Einlage, die in der Replik einer der Gestalten zusammengefast ist: Liebe zu einem Mensch bedeutet Hass zu einem anderen nicht. Es ist Feier der menschlichen Tatkraft und Bemühung um Zusammenleben in den Zeiten, wann über die Lebensqualität die Rassenangehörigkeit oder Ideologie des Klassenkampfes noch nicht entschied. (…) Die Besitzer des Textilunternehmers wurden von Mawer in mehr attraktive Landauer, Besitzer eines Automobilwerks verwandelt. Und im Stadttheater Brno wurde auf die Bühne ein der dringendsten Themen der letzten Jahre gebracht: Glasraum ist Feier der Gemeinschaft. Sehr aktuell.
WELTPREMIERE DES BUCH-BESTSELLERS IN BRNO
Peter Stoličný 16. Februar 2015 zdroj www.i-divadlo.cz
Der Roman des britischen Schriftstellers Simon Mawer geht zwischen den Jahren 1925 und 1968 in Brno vor. Die Unterlage der Geschichte ist das Schicksal der Menschen, die mit der berühmten Villa Tugendhat des weltanerkannten Architekten Ludwig Mies van der Rohe etwas zu tun hatten.
Die Zwischenkriegszeit war für die Tschechoslowakei, auch trotz Notwendigkeit, unterschiedliche Probleme eines jungen Staates zu überwinden, die Zeit der Wirtschaftsaufschwung. Die Industrie in Brno entwickelte sich erfolgreich. Weber-, Motor-, Waffenindustrie. Die Unternehmer initialisierten Aufbau von vielen Objekten, an denen einige berühmten Architekten teilnahmen. Brno, multinationale Stadt, wo Tschechen und Mährer, Deutschen und Slowaken sowie Juden nebeneinander in Frieden lebten, erlebte eine glückliche Zeit. Das junge Ehepaar des Textilmagnaten Tugendhat lässt sich von einem berühmten Architekten eine nie gesehene Villa bauen, modernes, verglastes Gebäude mit einer Wand aus Halbedelstein – Onyx. Hier trifft sich die Creme der Gesellschaft, junge Unternehmer, Künstler; einfach gesagt, es ist eine glückliche Stelle für glückliche Menschen. So war die Realität, so sind die Anfangskapitel des britischen Romans. So beginnt auch die Inszenierung im Stadttheater Brno, wo das Stück Der Glasraum seine Premiere hatte.
Ich machte eine kleine Umfrage bei den Studenten der Hochschule, die ich unterrichte. Über die Existenz der Villa Tugendhat wusste 75 Prozent der Befragten, darüber, wie die Villa entstand, welches Schicksal sie dann hatte, wussten dann nur 6 Prozente der Befragten. Ähnliche Ergebnisse hätte wahrscheinlich auch die Umfrage in den Straßen von Brno. Wir haben hier einen historischen Bauschatz, mit diesem ist eine große Geschichte verbunden, doch bis heute schufen wir nicht, dass die Villa, die Geschichte, zu einem wirklichen Bestandteil des Kulturbewusstseins von Brno ist. Anstelle von uns machte es ein britischer Schriftsteller. Es machte das Stadttheater Brno, wo das Stück in der dramatischen Bearbeitung und Regie von Stanislav Moša einstudiert wurde.
Der Roman Der Glasraum wurde in der Übersetzung von Lukáš Novák 2009 vom Verlag Kniha Zlín herausgegeben. Ich kaufte den Roman vor der Premiere im Foyer des Theaters, so habe ich jene 460 Seiten nur durchgeblättert. An der Pressekonferenz habe ich erfahren, dass im Theaterstück alle Schlüsselmomente des Romans verwendet sind. So weiß ich jetzt nicht, wie es gelang, sie aus jenen 460 Seiten zu extrahieren. Doch, der Äußerung des Autors nach (der bei der Premiere anwesend war und nach dem langen Applaus zu den Zuschauern sprach), ist die Inszenierung äußerst gelungen und interpretiert treu den Roman. Mawers Geschichte selbst ist eine Fiktion. Der Glasraum mit der Onyx-Wand, das ist der Innenraum der Villa Tugendhadt. Ihr Bewohner ist doch kein Besitzer der Weberfabriken Tugendhat, sondern Viktor Landauer, Besitzer eines Automobilwerks. Die Ehe und siebenjähriger Aufenthalt in der Villa sollte harmonisch sein, der Autor des Romans legte doch in die Beziehung eine Geliebte - Wiener Schneiderin - ein und verband dramatisch die handelnden Gestalten. Die Schneiderin wird Kinderfräulein für die Kinder von Landauer und zusammen mit diesen versucht, vor dem Nazismus zu emigrieren. Im Roman und auch in der Theaterbearbeitung sind doch die historischen Ereignisse wirklich treu beschrieben, die die Protagonisten mitleidlos überwalzen. Wie der Autor des Romans selbst sagt, ursprünglich sollte es vor allem ein Roman über Genius Loci der Villa, des Glasraums mit Aufsicht auf die Stadt sein. Es entwickelte sich doch ein bisschen anders, es ist vor allem ein Roman über die Menschen, über die vom Krieg beeinflussten Schicksaale, über die Nachkriegsgestaltung des Mitteleuropas und wieder über die Menschen – ihre Lieben, Schicksaaltreffen sowie Versagen.
Der Regisseur und Autor der Theaterbearbeitung Stanislav Moša legte in seiner Konzeption Nachdruck gerade auf das Verhalten der Menschen im Zusammenhang mit den Ereignissen, die vor dem zweiten Weltkrieg und nach diesem im Mitteleuropa vorgehen, also auch in der Stadt und im Glasraum. Der kommende Nazismus, dem die Frau des Hauses nicht glauben will, wahnsinnige Versuche des deutschen Soldaten und Wissenschaftlers, der versucht, mit Messung der Köpfe die Minderwertigkeit der jüdischen Rasse zu beweisen, Treiben der russischen Befreiungsarmee, die sich in ihrem Primitivismus nicht vorstellen kann, dass der Glasraum je zu Wohnen war. Und dann sind hier die Menschen. Das bis romantische Ehepaar Landauer. Beispielhaftes Glück. Doch Herr Fabrikant hat in Wien eine Geliebte. Hana Hanáková, mondäne Ehefrau eines Reichen, geheim und dann auch offen in Liesel Landauer verliebt. Hier ist auch ein mährische Klachel, Hausmeister, der der reichen jüdischen Familie sowie den Nazis und russischen Okkupanten ebenso dienen wird. Er grüßt Heil Hitler mit fingierter Begeisterung, wie später Ehre der Arbeit. Er schiebt doch vor allem, hamstert für sich. Die Liebe im ersten Plan bewegt doch das menschliche Verhalten der Gestalten nicht weniger intensiv als die Geschichte. Die Liebe zwischen Geliebten, lesbische Liebe, primitiv brutale Liebe, und dann nur bloße Befriedigung der Bedürfnisse, Beischlaf des deutschen Offiziers. Es ist interessant, dass wir in der Geschichte keinen Hass finden. Fatalität, sicher. Aber Hass, der in jener schwierigen Zeit entstehen könnte, fehlt hier. Möglicherweise ist es die Schlüsselstellung der Autoren.
Die Inszenierung selbst identifiziert sich mit der Villa Tugendhat mehr als der Roman. Onyx-Wand und roter Sessel, Klavier, Möbel aus der Villa Tugendhat. Und Aufsicht auf die grüne Fläche des Gartens und auf Brno. In der Darbietung der Schauspieler könnte man glauben, dass alles genau so geschah, wie die Autoren den Glasraum und die Menschen in ihm zum Leben brachten. Der Verdienst daran gehört ganz sicher dem dokumentarischen Stil des Romans und der Inszenierung, vor allem doch den nüchternen, zivilen und glaubbaren schauspielerischen Leistungen. Der Regisseur legte in die Inszenierung keine „belebende“ Teile, keine Inszenierungs-Exzesse ein, die wir in den modernen Inszenierungen so oft finden. Keine Symbolik, kein Zaubern mit dem Raum. Er ist bei Gestaltung der Inszenierung „nur“ wahrheitsgetreu. Dabei helfen ihm die funktionelle Szene von Christoph Weyers, die Kostüme von Andrea Kučerová – nebenbei, sie spielte wunderschön mit der Vorkriegs-Damenmode – und einen großen Beitrag zur Atmosphäre hat auch die suggestive Musikkulisse des Komponisten Zdenek Merta. Wir dürfen nicht einmal das Lichtdesign von David Kachlíř und die Projektion von Petr Hloušek vergessen. Einige Einfälle, z.B. Bildung der Skizze der Villa durch den Architekten direkt vor den Augen der Zuschauer, waren des Beifalls wert.
Die schauspielerische Kunst scheint in dieser Inszenierung gar nicht zu existieren. Alles ist so wahr, glaublich. Hier spielen starke Innenmotive sowie Stille. Ja, Stille im Glasraum ist vielsagend. Die Gestalten sind wie in einem antiken Drama durch das Schicksal getrieben. Manchmal wissen sie nicht, wie sie dagegen kämpfen sollen, geraten in Fallen, aus denen keine Flucht ist. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Antik große Gesten und expressive schauspielerische Kunst mitbrachte. Hier sind die Gestalten gerade dank der oft beinahe minimalistisch servierten schauspielerischen Kunst lebendig. „Zum Glück müssen sie nicht brüllen“, betonte Herr Stanislawski. Im Glasraum sind wir Zeugen einer stillen, doch desto tieferen und mehr schicksalhaften Bewegung. Petr Štěpán und Pavla Vitázková als Ehepaar Landauer sind ein glückliches Paar, das sich mit der Untreue des Ehemannes abfinden muss; und wenn die unschuldige Prostituierte aus Wien, durch Svetlana Janotová dargestellt, in ihr Leben in der Emigration tritt, ist ihre Koexistenz noch komplizierter. Wie soll ein Mädchen dargestellt werden, das in der Feindwelt mit ihren Frauenmitteln kämpft und dabei unschuldig bleibt? Janotová verleiht ihrer Gestalt solche feinen Nuancen, dass es bewundernswert ist. Und ihre Beziehung zur Frau Landauer, Frau, die nicht vorbereitet war, in übler Zeit des Antisemitismus oder der Untreue ihres Ehemannes zu leben? Ihre Gefühle, Machtlosigkeit und Würde, das ist auch eine bewundernswerte schauspielerische Kunst. Die Rolle von Petr Štěpán, Herr Landauer, gehört auch nicht zu jenen dankbarsten. Reicher Mann, der seine Familie sowie die Geliebte aus Wien liebt, ist eine ziemlich schematische Gestalt. Doch Štěpán wusste ihr ein reicheres Innenleben zu geben. Verantwortung, mit der er die ganze Emigration geplant hat, und Machtlosigkeit, in der er sich befindet, wenn seine Geliebte und Erzieherin ihrer Kinder von den Nazis aus dem Zug ausgeführt wird. Die Rolle des Hausmeisters, der sich immer zu helfen weiß, wurde von Michal Isteník wunderschön dargestellt. Sein Laník ist gerissener Spekulant, Klachel, Primitive, doch auch Mensch, der sich jeder Zeit anzupassen weiß. Radka Coufalová als die Rehabilitierungskrankenschwester im Glasraum weiß den Raum vor der Onyx-Wand mit ihrem Tanz zu beleben, zu dem sie von Hana Hanáková aufgefordert wurde. Es ist eine wunderschön suggestive Lage, die die magische Kraft des Raums noch mehr hervorhebt. Und Ivana Vaňková als Hanáková? Frau aus der besseren Gesellschaft, die immer wusste das Leben zu genießen. Doch wenn sie vom deutschen Wissenschaftler und Offizier Stahl vergewaltigt wird, verliert sie ihre Kontrolle für die Bewegung auf der Kante. Es ist eine komplizierte und realistisch dargestellte Gestalt. Und der deutsche Wissenschaftler in Darbietung von Igor Ondříček – überzeugend stellt er den Fanatiker dar, der in Richtigkeit seins Wegs fest glaubt und in dessen Gesichtswinkel nie Platz für Menschheit ist. Der Architekt Reiner von Abt, durch Rastislav Gajdoš dargestellt, ist dann ein Beispiel des Spiels mit dem Raum. Er ist beinahe kein Mensch. Er ist Raum. Genius der Einfachheit, Naturkraft, nicht vergeblich erkennt er sich zum Architekten Loos, der den denkwürdigen Satz aussprach: Ornament ist ein Verbrechen.
„Es gibt keine großen Rollen, es gibt nur große Schauspieler“, möchte ich den Klassikern paraphrasieren. So etwas können alle Protagonisten dieser seltsamen dokumentarischen Inszenierung bewertet sein. Die Wahrhaftigkeit tritt in diesem Stück im ersten Plan hervor. Das war vielleicht auch die Absicht des Regisseurs Stanislav Moša und diese Absicht ist gelungen.
VILLA TUGENDHAT IN DER HAUPTROLLE. WELTPREMIERE IN BRNO.
Jaroslav Štěpaník 16. Februar 2015 zdroj www.literarky.cz
Die Weltpremieren sind ziemlich häufig zu sehen. Wenn wir so die erste Aufführung jedes neuen Stücks auf unserer heimischen Theaterszene bezeichnen. Nur ein sehr großer Narziss, eventuell Hetzliebhaber, macht doch die Information über seine Weltpremiere bekannt. Wahrscheinlichkeit, dass die Welt darüber erfährt und das Stück von großen Welttheatern in ihre Spielpläne eingeordnet wird, ist doch nur gering. Die Bezeichnung Weltpremiere gehört doch mit Recht der dramatischen Bearbeitung des erfolgreichen Romans Der Glasraum von Simon Mawer, der mit demselben Namen am 7. Februar auf der Schauspielbühne des Stadttheaters Brno aufgeführt wurde. Und es ist zu sagen, dass es sich um eine erfolgreiche und gelungene Premiere handelte.
Das Buch wurde 2009 herausgegebenen, es wurde zum anglo-amerikanischen Man-Booker-Prestige-Preis nominiert und in viele Sprachen übersetzt. 2004 gewann die Rechte für die dramatische Bearbeitung der Direktor des Stadttheaters Brno Stanislav Moša, Autor und Regisseurs des neuen Theaterstücks. Nicht nur deswegen wurde die Premiere mit großem Interesse und Spannung erwartet.
Die Hauptgestalt und Handlungsort der Geschichte ist die berühmte Villa Tugendhat in Brno. Simon Mawer, Engländer, der zusammen mit seiner Familie langfristig in Italien lebt, ist Biologe von Beruf. Den Besuch der Stadt Brno, dieses mit dem Leben und Werk des Begründers der Genetik Gregor Mendel verbundenen Orts, konnte er sich in den 90-er Jahren nicht entgehen lassen. Ob er hierher schon damals mit der Idee eines Romans kam, weiß ich nicht; es ist doch sicher, dass 1997 sein Mendels Zwerg herausgegeben wurde, mit dem sich der Autor zu den weltbekannten Belleteristen einordnete.
Bei dem Schriftsteller entwickelte sich die Sympathie zu der für ihn früher unbekannten Stadt, die im neunzehnten Jahrhundert eine schnelle Entwicklung erlebte. Später sagte er: „Prag zu lieben, es ist einfach. Doch Brno zu lieben, bedeutet, es kennenzulernen“.
Seiner Aufmerksamkeit konnten nicht einmal andere Realien entgehen, zu denen ganz sicher auch die Villa Tugenhadt gehört. Diese kann als Symbol eines bedeutenden, doch nicht langen Zeitraums der Gesamtentwicklung von Brno in der Zeit der ersten Republik verstanden werden. Solche Stellung gehört der Villa auch im Roman sowie im Theaterstück.
Der Zerfall der österreich-ungarischen Monarchie ließ offene Narben in den Seelen der Stadtbewohner, auf der anderen Seite weckte er bei manchen Sympathie zur jungen Demokratie, die neue Impulse und Energie mitbrachte, nationale Unterschiede milderte. Es schien, dass Brno mit seinen tschechischen, jüdischen und deutschen Bewohnern eine vielversprechende Zukunft vor sich hatte.
Simon Mawer bringt diese hoffnungsvolle Atmosphäre, die sich zu früh in die Atmosphäre einer kommenden Katastrophe verwandelt, empfindlich nahe. Auf den Seiten des Romans verbindet er die Idee, den Aufbau und die weiteren Schicksale der mit Antritt des Nazismus, Krieg und mit der Nachkriegsentwicklung beeinflussten Villa mit der Entwicklung der Beziehung eines jungen Paars aus der gemischten, deutsch-jüdischen Familie.
Während die Geschichte der Villa eine ziemlich treue Schilderung ist und der Leser in einer ziemlich umfassenden Exposition erfährt, wodurch das Gebäude in der Geschichte der Architektur einzigartig ist, sind die Gestalten nur eine Fiktion, ihre Schicksale nur eine Fabulation. Gleichzeitig doch ein treffendes Model, wie der Zeitraum von den Hoffnungen bis zum Zerfall die Gesellschaft und ihre Formen und Beziehungen - Familien-, Freundschaft-, sowie Partnerverhältnisse - beeinflusste.
Auch wenn im originellen Roman Stadt, Architekt, Villa und ihre Bewohner nicht genannt sind, entschlüsselt der Leser die reale Vorlage sehr schnell. In der tschechischen Übersetzung des Romans ist Brno schon genannt, das Kolorit der hoffnungsvollen Zeit wird durch die Hinweise auf einige bekannten Namen unterstrichen. Es sind hier die Architekten B. Fuchs und M. Wiesner sowie talentierte V. Kaprálová erwähnt. Aus den Seiten des Romans kommt zum Leser die Musik des heute meist gespielten Komponisten des 20. Jahrhunderts Leoš Janáček.
Kein Zufall, dass die schwierige Aufgabe, dem Roman eine gleichwertige Bühnenform zu geben, gerade in Brno realisiert wurde. Es ist keine Überraschung, dass die Aufforderung vom Stadttheater Brno angenommen wurde, das durch seine Offenheit gegenüber allem neuen, durch seine Flexibilität, mit der es interessante Themen aufzufassen weiß, bekannt ist. Die Musikbühne gewann im europäischen Raum einen guten Ruf durch brillante Realisierungen der berühmten Weltmusicals, im hiesigen Raum durch schnelle Übertragung der neuen ausländischen Theaterstücke sowie durch Einordnung der originellen tschechischen Titel.
Die Bearbeitung des ziemlich umfassenden Romans in die dramatische Form ist anspruchsvoll, auch wegen der Notwendigkeit, eine angemessene Dauer der Vorstellung zu erhalten. Stanislav Moša wählte den Weg, der völlige Kompaktheit der Handlung erhält, keine Striche macht und ursprüngliche Dialoge respektiert. Das Ergebnis ist sehr gelungen und auch der Zuschauer, der den Roman nicht las, kommt um etwas Wesentliches aus der Geschichte nicht. Diesem entspricht auch die Dauer der Vorstellung, die den üblichen Durchschnitt überschreitet. Der Aufbau des Bühnenbuchs, das in 55 Bildern gegliedert ist, gibt doch der Realisierung eine schnelle Folge und der Schmiss der Handlung ist dem dynamischen Filmschnitt ähnlich.
Die Dramatisierung erhält treu die Charakteristiken der Gestalten, nur die Züge von Lánik, Hausmeister, sind akzentuiert; dieser wurde vom Michal Isteník perfekt dargestellt. Das Theater verfügt über ein hochwertiges schauspielerisches Ensemble (viele sind imstande, dramatische Gestalten sowie Musicalgestalten perfekt darzustellen). Die Auswahl der Schauspieler entspricht den Charakteren der Gestalten sehr gut. Bei diesen gleichwertigen Leistungen ist es schwierig, jemanden speziell hervorzuheben, unser Lob gehört doch ganz sicher an Pavla Vitázková, Darstellerin der weiblichen Hauptrolle Liesel. Elegant, in ihren Innengefühlen geschlossen, Distanz haltend - sie scheint eine gewisse Parallele des Raums mit Aufsicht auf die entfernten Konturen der Stadt und auf das Leben in dieser zu sein.
Liesel sehnt nach Liebe, ihre Emotionen zeigt sie doch nur selten. Ihre Ehe mit dem erfolgreichen Industriellen Viktor Landauer ist vor allem Ergebnis der gesellschaftlichen Nahe, Verwandtschaft, Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Klasse. Eher als die Liebe ist hier die Sehnsucht nach ihr versteckt. Wenn Viktors außerehrliche Beziehung ans Tageslicht kommt, nimmt es Liesel wie eine feststehende Tatsache, mit gewisser bis rationaler Resignation an. Viktor (überzeugender Petr Štěpán) erlebt in der Beziehung mit Kata, in allen Aspekten von seiner Ehefrau so unterschiedlich (in Darbietung von Svetlana Janotová), eine leidenschaftliche Entflammung mit allem, was ihm zu Hause fehlt. Es entsteht eine seltsame, von allen akzeptierte Triade eines Mannes, seiner Ehefrau und Geliebte (gleichzeitig auch Kinderfräulein), eine stille, pragmatische Gemeinschaft bis zum Augenblick der tragischen Entwirrung. Abgesehen von den Unterschieden der beiden weiblichen Charaktere ist es offensichtlich, dass gerade ihre Dreieckseiten durch die Situation am meisten betroffen sind.
Vielleicht die interessanteste und meist plastische weibliche Figur der Romanvorlage ist die non-konforme Hana, in der Theaterbearbeitung durch Ivana Vaňková dargestellt. Frau mit freien Sitten, bisexuell, die das Leben ohne Respekt zu den üblichen gesellschaftlichen Normen genießt; sie ist weibliche Darstellerin des slawischen Elements. Die dominante Hana zögert lange, bevor sie vor Liesel ihre mehr ausgeprägte Orientierung entdeckt und ihr anvertraut, was sie zu der Freundin fühlt. Sie findet nur Überraschung, keine Verwerfung oder Ablehnung, die sie fürchtete. Im Gegenteil, es ist offensichtlich, dass nur die Ereignisse, durch die die Freundinnen getrennt werden, ihre Beziehung platonisch erhalten.
Die Personen innerhalb des Glasraums scheinen, eine ähnliche undurchlässige Wand untereinander zu haben und auf diese anzustoßen. Nach Jahren ist es gerade Hana, die sie in der beschädigten, durch Krieg stark betroffenen Villa mit ihrer neuen, diesmal gefüllten lesbischen Beziehung symbolisch vernichtet. In der Parallele zu den Schicksalen der ursprünglichen Bewohner der Villa endet das Verhältnis der jungen Rehabilitationskrankenschwester (Radka Coufalová) mit dem Arzt Tomáš mit Enttäuschung, was für das Stück sowie für den Roman typisch ist. Die Erwiderung der Gefühle, die sie bei ihrem männlichen Partner vergeblich suchte, fand sie in einem anderen Verhältnis.
Eine ganze Reihe von anderen, hier nicht genannten Schauspielern wurde in kleineren, doch nicht unbedeutenden Gestalten besetzt. Sie waren ein gleichwertiger Bestandteil des Ensembles und so auch Bestandteil des Erfolgs der ganzen Vorstellung.
Die Inszenierung präsentierte sich als eine kompakte Gesamtheit, mit Zusammenspiel von allen Komponenten. Einen zweifellosen Verdienst am Erfolg haben die effektvolle und erfinderisch funktionsmäßige Szene von Christoph Weyers und die mit der Handlung korrespondierende Musik von Zdenek Merta. Durch die wunderschönen Kostüme von Andrea Kučerová waren vor allem die Frauen bezaubert, doch nicht nur sie. Es sind auch David Kachlíř (Lichtdesign), Petr Hloušek (Projektionen), Aneta Majerová (Choreographie), Zdeněk Helbich (Produktion), Jan Mazák (Regieassistent) und Klára Čoupková (Assistentin der Kostümbildnerin) zu erwähnen. Der Dramaturg war Jiří Záviš.
Das schöpferische Team des Stadttheaters Brno bereitete unter der Führung des Autors und Regisseurs der Theaterbearbeitung Stanislav Moša eine interessante Vorstellung vor, die in Übereinstimmung mit der Philosophie dieser Szene eine große Menge der Zuschauer ansprechen will. Die Geschichte aus Brno und gleichzeitig der gegenwärtige Weltroman wurde für das Theater empfindlich bearbeitet. Es ist zu ergänzen, dass der an der Premiere anwesende Autor der Buchvorlage mit seinem Lob nicht sparte. Auch wenn es sich um einen vor allem für die Bewohner von Brno interessanten Titel handelt, ist es wahrscheinlich, dass die Inszenierung auch die Aufmerksamkeit anderer Realisierungsteams in unserer Republik ziehen wird.
DAS MAGISCHE BRÜNN DES BRITEN SIMON MAWER
Jiří P. Kříž 12. Februar 2015 zdroj Právo
Wie noch nie zuvor genießt Brünn derzeit das Interesse der Historiker und der Romanciers. Und in welcher Qualität! Simon Mawers Buch The Glass Room ist bereits weltbekannt, und dies nicht nur deshalb, weil hier die Villa Tugendhat im Zentrum des Geschehens steht – ein Kleinod der modernen Architektur und das wichtigste Werk von Ludwig Mies van der Rohe auf dem europäischen Kontinent.
Als erster Theaterschaffender hatte Stanislav Moša vom Stadttheater Brünn die Idee zur Dramatisierung des literarischen Stoffes von der Villa, ihren Eigentümern, den Personen um sie herum und einer Zeit, die sich am ehesten als das seltsame Jahrhundert charakterisieren lässt.
Mawers The Glass Room ist eine literarische Fiktion, deren Stadt, Villa und die Menschen in durchsichtiger Weise durch konkrete Vorlagen inspiriert sind. Auf dass Moša sie unter Verwendung der Übersetzung von Lukáš Novák für die Brünner nicht noch weiter konkretisiert! Sein Stück bietet aber auch noch eine andere, ganz eigene Ebene, wie sie eine der Figuren so prägnant in Worte fasst: Die Liebe zu einem Menschen bedeutet nicht Hass für den anderen.
Der Glasraum feiert die menschliche Tatkraft und die Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben in einer Zeit, als die Lebensqualität noch nicht von der Rassenzugehörigkeit oder der Ideologie abhing. In Brünn waren dies fraglos die Jahre der intellektuellen und wirtschaftlichen Blüte einer Gemeinschaft aus Tschechen, Deutschen und Juden.
Ja, auch der kleingeistige Tscheche findet sich in einer leicht überspitzten Darbietung von Michal Isteník im Glasraum wieder. Sein Laník ist genau der neidische und ausgefuchste Diener, wie es ihn unter jedem Regime gibt. Im Übrigen jedoch dominieren Noblesse, Großzügigkeit, Aufschwung und Wohlstand.
In der Tat wird etwas übergangen, dass Mies van der Rohe die Villa fertigstellte, als bereits die Weltwirtschaftskrise vor der Tür stand, doch strebten weder Mawer noch Moša eine soziale Thematik an, sondern wollten den Gemeingeist hochleben lassen.
Die erfolgreiche Weltpremiere des Glasraums wird auf der Bühne durch die schauspielerische Elite Brünns verkörpert. Petr Štěpán und Pavla Vitázková als Ehepaar Landauer, Bauherren und Eigentümer der Villa, Ivana Vaňková als Familienfreundin Hana, Svetlana Janotová in der Rolle der Wiener Jüdin und Geliebten des fehlgeleiteten Landauer, Igor Ondříček als Hauptsturmführer Stahl, Wächter über die Reinheit der arischen Rasse, Radka Coufalová als Rehabilitationsschwester Zdenka.
In weiteren Rollen treten Rastislav Gajdoš, Zdeněk Junák, Jiří Mach, Patrik Bořecký, Jan Mazák, Ladislav Kolář und andere auf. Herausragend sind die Kostüme von Andrea Kučerová, das Bühnenbild von Christoph Weyers, die imposante, hymnische Musik von Zdenek Merta… Alles mit gerade so viel Pathos, wie es sich die Villa, aber auch die in ihr bewahrten Werte verdient haben.
DER GLASRAUM ENTFESSELT IM STADTTHEATER BRÜNN EINEN GEYSIR DER EMOTIONEN
Markéta Stulírová 9. Februar 2015 zdroj Brněnský deník
Aus dem gefeierten Roman von Simon Mawer, dessen Handlung durch die Geschichte der Villa Tugendhat inspiriert ist, schuf Regisseur Stanislav Moša eine mitreißende Inszenierung über Liebe, Schmerz und das menschliche Schicksal.
Die Villa Tugendhat. Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe. Das Schicksal der Familie Tugendhat. Die Stadt Brünn. Die Onyxwand und so große Fensterscheiben, dass die Grenze zwischen Innen und Außen verschwimmt. All dies brachte der britische Schriftsteller Simon Mawer mit einer unverblümten Dosis Fantasie in seinen Roman The Glass Room ein, der weltweit zu einem Bestseller wurde. Damit wurden aus den Tugendhats die Landauers, aus der Villa Tugendhat die Villa Landauer, verwandelte sich Brünn in Město und der Architekt Mies van der Rohe in Rainer von Abt.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich Filmemacher und Theaterregisseure des Texts bedienen würden. Als Weltpremiere brachte Stanislav Moša vom Stadttheater Brünn das Werk am Samstagabend unter Anwesenheit des Romanautors auf die Theaterbühne. Mawer hatte dem Regisseur freie Hand gelassen und bemerkte nach der Aufführung: „Auch wenn ich die Sprache der Schauspieler nicht verstanden habe, so habe ich doch jedes ihrer Worte, jede Geste, jede durchlebte Emotion wahrgenommen.“ Womit er genau das trifft, was die neue Einstudierung auszeichnet: der Glasraum reißt das Publikum vor allem durch die erzählte Geschichte und die Leistungen der Schauspieler mit, selbst wenn die Gestaltung der Szene und der Kostüme schon für sich allein ein Erlebnis ist.
Moša ist es gelungen, für die Inszenierung einen Schlüssel zu finden, mit dem er den Glasraum souverän aufschließt: er verbindet Gegenwärtiges mit Vergangenem, lässt sich durch die Handlung leiten und begreift sie in einer neuen, frischen theatralischen Dimension. Dass er bei der Dramatisierung den Text geradezu pietätvoll behandelt und auf der Bühne gerade jene Etüden und jene Charakterzüge der Figuren lebendig werden lässt, welche die Zuschauer am Ende zu sehen bekommen, ist sein Privileg als Autor und Regisseur. Ebenso auch, dass er das Ende der Handlung ins Jahr 1968 vorverlegt – im Unterschied zum Roman, der erst in den Neunzigerjahren endet.
Das zentrale Paar, die Eheleute Liesel und Viktor Landauer, verkörpern Pavla Vitázková und Petr Štěpán. Vitázková präsentiert sich erstmals nach langer Zeit in einer so markanten und innerlich so zerrissenen Rolle, doch ist sie sehr überzeugend. Sie ist als Frau ebenso liebend wie apathisch, ebenso verbittert wie begierig nach Gefühlen, die sich dem anderen nicht vorschreiben lassen. Als reiche Dame, die sich jeden materiellen Luxus leisten kann, kämpft sie um die Liebe ihres Ehemanns. Dieser wird von Petr Štěpán gespielt, der wieder einmal unter Beweis stellt, dass er als Schauspieler eine sichere Wahl ist. Er ist unglaublich gutherzig, zynisch und rational, wenngleich er mit dem Auftritt der Prostituierten Kata seinen Emotionen und seiner Sehnsucht nachgibt. Er zweifelt, er liebt – und jede „seiner“ Frauen anders. Dennoch hätschelt er beständig irgendwo in seinem Innern die Welt seiner eigenen Emotionen.
Die Prostituierte und Näherin Kata in all ihren Lebensfreuden und all ihrem Lebensleid wird ausgezeichnet durch Svetlana Janotová verkörpert, eine zentrale Rolle nimmt jedoch auch Liesels beste Freundin ein – die innerlich starke Hana Hanáková, deren Rolle von Ivana Vaňková perfekt einstudiert wurde. Wenn Hana die Szene betritt, fegt sie alles Selbstverständliche und Konventionelle hinweg, doch stets mit der ihr eigenen Eleganz. Jede Minute steht Vaňková auf der Bühne den Wirrungen des Schicksals gegenüber, die in Hanas Versöhnung und gleichzeitig in ihrer körperlichen und seelischen Erschöpfung kulminieren. Die Zeit ist unbarmherzig, ihr ordnen sich Form und Inhalt unter. In der Villa Landauer wie auch überall sonst.
Vom Typ wie von seinen schauspielerischen Leistungen her perfekt gewählt ist auch Igor Ondříček, der in seiner Figur des Wissenschaftlers und SS-Manns behutsam Selbstsicherheit mit Verlegenheit und wissenschaftliche Argumente mit Emotionen mischt, wenngleich am Ende ohnehin das Unheil, physische Stärke und die Ziele des Nationalsozialismus die Oberhand gewinnen.
Mit den Antipolen des Gesagten und des Erlebten spielen nicht nur die Akteure, sondern die gesamte Einstudierung. Und so wie für Mawer die ständige Spannung zwischen dem ideal konstruierten Raum und dem realen Leben darin im Mittelpunkt steht, setzt auch Moša auf die Anwesenheit formaler wie inhaltlicher Gegensätze. Realität – Träume, Verstand – Emotionen, Glaube – Hoffnungslosigkeit, Liebe – Hass, uniform – einzigartig, Licht – Dunkel, Blindheit. Dies alles gehört zum Leben der auftretenden Personen, dies alles vermengt die Brünner Inszenierung in einem Tempo, das in der Einführung ausgesprochen hektisch und im Finale vielleicht sogar etwas zu entspannt ist. Dennoch lässt die Inszenierung dem Zuschauer, und dies im positivsten Sinne, keinen Augenblick zum Luftholen. Die Handlung ist in rahmenhaft in sich abgeschlossene bildliche Auftritte eingebettet. Jeder davon ist durch eine Lichtgrenze gesäumt, doch bleibt stets eine Geste, eine Figur so im Lichtkegel, dass sie das Gesagte im Publikum nachklingen lässt. Im Hintergrund läuft unter Klaviermelodien des Komponisten Zdenek Merta ungestört der Umbau der Szene ab. Die lyrischen, an anderer Stelle episch drückenden Klänge verstärken die Absurdität der Augenblicke. Es ist wie der Ablauf eines Films: Schnitt, Handlung, Schnitt, Handlung, dabei harmoniert alles und bleibt in einem kompakten Ganzen miteinander verbunden.
Anleitungen zur künstlerischen Ausgestaltung hatten die Theatermacher reichlich bereits im Romantext. Und der Regisseur greift darauf zurück. „Reinheit der Eindrücke. Geradezu greifbare Präsenz der Silhouetten. Verdoppelte Bilder. Spiegelung. Senkrechte Träger, die durch das Interieur führen. Alles sieht wie ein Häuschen aus Würfeln aus.“ Dies alles sind Charakterisierungen aus dem Buch, die auf die Bühne übertragen wurden. Ebenso auch „Bilder als Erinnerungen, die Liesel in den Sinn kommen.“ Moša hat fünfundfünfzig davon geschaffen.
Das Bühnenbild ist das Werk von Christoph Weyers. Im Geiste japanischer Origamis hat dieser deutsche Szenograf eine Unzahl „ausgeschnittener“ Bilder geschaffen, in die er Bäume, Türme oder bekannte Stadtsilhouetten hineinkomponiert und diese eingerahmten Szenen in unterschiedlicher Abfolge hintereinander schichtet, um das Publikum so an den angedeuteten Ort zu befördern – nach Brünn, Wien, Venedig oder in die Schweiz. Die Verwandlungen der Szene funktionieren perfekt und stehen in enger Verbindung mit dem Lichtdesign. Diesem kommt bei der Inszenierung eine ebenso wichtige Rolle zu wie dem eigentlichen Bühnenbild. Es kommt auf jede Sekunde an, doch so anspruchsvoll das Zusammenspiel aus technischer Sicht ist, so leicht wirkt es auf den Zuschauer. Dessen Aufmerksamkeit wird dabei paradoxerweise so sehr von den Akteuren und der Handlung absorbiert, dass alles andere nebensächlich scheint.
Nicht nur im Roman klingt an, dass die Villa Tugendhat eine Manifestation der Schönheit sei. Falls wir uns mit dieser Ansicht identifizieren, dann ist Mawers Roman die beste Bestätigung dafür, welch starke Wirkung die Fantasie eines Schriftstellers haben kann. Und mit der Bühnenfassung dieses Werks wird der Bogen noch etwas weiter gespannt. Die Energie eines einzelnen Brünner Hauses fließt von einem Jahrhundert hinüber ins nächste, von der Realität in die Welt der Illusionen, von Worten auf Papier in mitreißende schauspielerische Gesten. Die Inszenierung des Glasraums ist das aktuellste Beispiel dafür, was das moderne Stadttheater Brünn anzubieten hat – dramaturgisch, schauspielerisch, von der Regie wie von der künstlerischen Umsetzung her.