Die Nacht der Hirten des Dramatikers Josef Bouček zum zweiten Mal am Stadttheater Brno. Ein Stück, das auch heute noch aktuell ist
Jaroslav Štěpaník 26. September 2021 zdroj www.brnozurnal.cz
Am 19. und 20. September brachte das Stadttheater Brno als Premiere das bekannteste Stück des Dramatikers, Szenaristen und Schriftstellers Josef Bouček (1932–1995) auf die Bühne. Die Nacht der Hirten ist inspiriert durch das Lebensschicksal von Jakub Jan Ryba und die Entstehung seiner Böhmischen Weihnachtsmesse...
Das Stadttheater Brno wendet sich diesem Stück bereits zum zweiten Mal zu. Erstmals wurde es auf seiner Bühne im Jahr 1985 gespielt. Als interessantes Detail sei erwähnt, das Petr Gazdík, der Regisseur der neuen Inszenierung, damals im Alter von zehn Jahren einen der Schüler von Herrn Lehrer Ryba spielte. Durch seine Mitwirkung in längst vergangenen Kindheitstagen hat sich das Stück dem Regisseur sicher im Gedächtnis eingebrannt, so dass er es nun wohl gern wieder aufgegriffen hat. Vielleicht war er ja auch der Initiator der Neuinszenierung? Eines jedenfalls sei schon an diesem Punkt verraten: Gazdík hat wieder einmal überzeugend gezeigt, dass ihm Sujets mit „einem Hauch von Klassik“ in historischen Kulissen, aber auch Schicksale und Ereignisse, deren Bedeutung über ihre Epoche hinausreicht, besonders nahestehen. Ebenso aber auch, dass er einen guten Draht zu den Schauspielern hat und eine geschickte und präzise Hand bei ihrer Auswahl.
Die Schlüsselfiguren sind zwei Antagonisten – der Kantor und Musiker Ryba (Milan Němec) und der Pfarrer von Rožmitál Zachar (Jan Mazák). Ryba ist ein Mann von Prinzipien, der sowohl die Musik als aus seinen Lehrerberuf sehr ernst nimmt. Er hat seine festen Ansichten und verschweigt nicht, was ihm missfällt – wodurch er unvermeidlich aneckt. Vor allem beim konservativen, den alten Zeiten nachhängenden Zachar. Den jüngeren Lehrer, welcher ihm nicht den gebotenen Respekt entgegenbringt und stets auf seiner Meinung beharrt, kann er auf den Tod nicht ausstehen. Um seinen Gegner auszuschalten, nutzt er alle verfügbaren Mittel. Die Streitigkeiten und Konflikte vertiefen sich und streben für beide Akteure einem dramatischen Finale entgegen. Die zwei Schauspieler verleihen ihren Figuren große Plastizität und Überzeugungskraft, ich würde sagen, dass beide hier in ihren bislang besten Rollen zu sehen sind. Einen bedeutenden Platz nehmen in dem Drama Rybas Ehefrau Anna (Alena Antalová) und ihr Gegenpol, Pavla, die Tochter des herrschaftlichen Verwalters (Svetlana Janotová), ein. Anna hält zu ihrem Mann, sieht jedoch mit Missfallen, wie er durch seinen Stolz und seine Sturheit ihrer vielköpfigen Familie Schaden zufügt und sie in immer tiefere Armut treibt. Die junge Pavla, aus besserem Hause und musikalisch gebildet, bewundert Rybas Talent, welches die einfachere, von ihren Alltagssorgen geplagte Anna nicht in dieser Intensität wahrnehmen kann. Pavla ist verzaubert, verliebt, sie weiß, dass er das Zeug zu mehr hat als nur zu seinem Lehrerberuf. Der Dramatiker hat sie in die Handlung geschickt auch als ein gewisses Alter Ego eingefügt, das aufreizende Fragen stellt. Für beide jedoch ein unausgesprochener, nicht zu verwirklichender Traum.
Beide Akteurinnen, in dem Stück Konkurrentinnen in sehr unterschiedlicher Position, haben sich in ihre Figuren einfühlsam und präzise eingelebt, und die Regie konnte sich ebenso auch auf die Leistungen aller anderen Mitwirkenden verlassen. Ihren Beitrag zum Gelingen der Aufführung leistete auch das einfache, jedoch sehr zweckmäßige „stufenförmige“ Bühnenbild von Emil Konečný, welches es erlaubte, mehrere Dialoge und Handlungen gleichzeitig ablaufen zu lassen und damit die Dramatik zu erhöhen. In einem wirkungsvollen Kontrast zu der schlichten Dekoration standen die wunderschönen zeitgenössischen Kostüme von Eliška Ondráčková Lupačová. Emotionale Kraft verliehen der Inszenierung die Musikpassagen aus der berühmten, noch immer viel gespielten und weithin beliebten Weihnachtsmesse von Jakub Jan Ryba, deren Entstehung die ganze Handlung durchzieht. Der Musiker wird aus dem Komponieren durch seine beruflichen Pflichten als Lehrer und durch seine existentiellen Probleme herausgerissen. In seinen jungen Jahren musste er seine vielversprechende künstlerische Laufbahn aus ähnlichen Gründen aufgeben, als seine Eltern ihn von seinem Studium zurückholten. Er nahm sein Lebensschicksal voll und ganz an, seinem Lehrerberuf maß er wohl sogar größere Bedeutung bei als seiner Musik. Im Interesse einer größeren Dramatik der Handlung änderte der Autor einige Details aus dem Leben Rybas wie auch die zeitliche Abfolge mancher Ereignisse.
Mit der Nacht de Hirten ist dem Stadttheater Brno eine Inszenierung gelungen, die das Zeug dazu hat, breite Zuschauergruppen anzusprechen. Aus mehreren Gründen würde ich die Aufführung auch einem jüngeren Publikum empfehlen. Das Stück selbst wie auch seine gelungene Umsetzung bieten künstlerische Qualität und Aufrichtigkeit, und ich will nicht verschweigen, dass es hier auch eine sanfte und unaufdringliche pädagogische Botschaft gibt, wie sie heute in der Welt der Kunst eher weniger angesagt ist. (Ryba selbst nahm nicht nur, wie schon gesagt, seinen Lehrerberuf sehr ernst, sondern war als Lehrer auch von anderen hoch geschätzt und anerkannt.) Das Publikum gewinnt einen Einblick in eine Epoche des erwachenden nationalen Selbstbewusstseins, die heute ebenfalls kein dominierendes Thema mehr darstellt, und wird auch zum Nachdenken über die Stellung schöpferischer Persönlichkeiten damals und heute angeregt. Die dramatische Umsetzung behandelt vor allem das zeitlose, ewige Thema des Konflikts eines Einzelnen mit seiner missgünstigen Umgebung, seines Kampfs mit Unverständnis, Hass und Intrigen, mit der unausrottbaren menschlichen Kleinheit.
Am 19. und 20. September brachte das Stadttheater Brno als Premiere das bekannteste Stück des Dramatikers, Szenaristen und Schriftstellers Josef Bouček (1932–1995) auf die Bühne. Die Nacht der Hirten ist inspiriert durch das Lebensschicksal von Jakub Jan Ryba und die Entstehung seiner Böhmischen Weihnachtsmesse...
Das Stadttheater Brno wendet sich diesem Stück bereits zum zweiten Mal zu. Erstmals wurde es auf seiner Bühne im Jahr 1985 gespielt. Als interessantes Detail sei erwähnt, das Petr Gazdík, der Regisseur der neuen Inszenierung, damals im Alter von zehn Jahren einen der Schüler von Herrn Lehrer Ryba spielte. Durch seine Mitwirkung in längst vergangenen Kindheitstagen hat sich das Stück dem Regisseur sicher im Gedächtnis eingebrannt, so dass er es nun wohl gern wieder aufgegriffen hat. Vielleicht war er ja auch der Initiator der Neuinszenierung? Eines jedenfalls sei schon an diesem Punkt verraten: Gazdík hat wieder einmal überzeugend gezeigt, dass ihm Sujets mit „einem Hauch von Klassik“ in historischen Kulissen, aber auch Schicksale und Ereignisse, deren Bedeutung über ihre Epoche hinausreicht, besonders nahestehen. Ebenso aber auch, dass er einen guten Draht zu den Schauspielern hat und eine geschickte und präzise Hand bei ihrer Auswahl.
Die Schlüsselfiguren sind zwei Antagonisten – der Kantor und Musiker Ryba (Milan Němec) und der Pfarrer von Rožmitál Zachar (Jan Mazák). Ryba ist ein Mann von Prinzipien, der sowohl die Musik als aus seinen Lehrerberuf sehr ernst nimmt. Er hat seine festen Ansichten und verschweigt nicht, was ihm missfällt – wodurch er unvermeidlich aneckt. Vor allem beim konservativen, den alten Zeiten nachhängenden Zachar. Den jüngeren Lehrer, welcher ihm nicht den gebotenen Respekt entgegenbringt und stets auf seiner Meinung beharrt, kann er auf den Tod nicht ausstehen. Um seinen Gegner auszuschalten, nutzt er alle verfügbaren Mittel. Die Streitigkeiten und Konflikte vertiefen sich und streben für beide Akteure einem dramatischen Finale entgegen. Die zwei Schauspieler verleihen ihren Figuren große Plastizität und Überzeugungskraft, ich würde sagen, dass beide hier in ihren bislang besten Rollen zu sehen sind. Einen bedeutenden Platz nehmen in dem Drama Rybas Ehefrau Anna (Alena Antalová) und ihr Gegenpol, Pavla, die Tochter des herrschaftlichen Verwalters (Svetlana Janotová), ein. Anna hält zu ihrem Mann, sieht jedoch mit Missfallen, wie er durch seinen Stolz und seine Sturheit ihrer vielköpfigen Familie Schaden zufügt und sie in immer tiefere Armut treibt. Die junge Pavla, aus besserem Hause und musikalisch gebildet, bewundert Rybas Talent, welches die einfachere, von ihren Alltagssorgen geplagte Anna nicht in dieser Intensität wahrnehmen kann. Pavla ist verzaubert, verliebt, sie weiß, dass er das Zeug zu mehr hat als nur zu seinem Lehrerberuf. Der Dramatiker hat sie in die Handlung geschickt auch als ein gewisses Alter Ego eingefügt, das aufreizende Fragen stellt. Für beide jedoch ein unausgesprochener, nicht zu verwirklichender Traum.
Beide Akteurinnen, in dem Stück Konkurrentinnen in sehr unterschiedlicher Position, haben sich in ihre Figuren einfühlsam und präzise eingelebt, und die Regie konnte sich ebenso auch auf die Leistungen aller anderen Mitwirkenden verlassen. Ihren Beitrag zum Gelingen der Aufführung leistete auch das einfache, jedoch sehr zweckmäßige „stufenförmige“ Bühnenbild von Emil Konečný, welches es erlaubte, mehrere Dialoge und Handlungen gleichzeitig ablaufen zu lassen und damit die Dramatik zu erhöhen. In einem wirkungsvollen Kontrast zu der schlichten Dekoration standen die wunderschönen zeitgenössischen Kostüme von Eliška Ondráčková Lupačová. Emotionale Kraft verliehen der Inszenierung die Musikpassagen aus der berühmten, noch immer viel gespielten und weithin beliebten Weihnachtsmesse von Jakub Jan Ryba, deren Entstehung die ganze Handlung durchzieht. Der Musiker wird aus dem Komponieren durch seine beruflichen Pflichten als Lehrer und durch seine existentiellen Probleme herausgerissen. In seinen jungen Jahren musste er seine vielversprechende künstlerische Laufbahn aus ähnlichen Gründen aufgeben, als seine Eltern ihn von seinem Studium zurückholten. Er nahm sein Lebensschicksal voll und ganz an, seinem Lehrerberuf maß er wohl sogar größere Bedeutung bei als seiner Musik. Im Interesse einer größeren Dramatik der Handlung änderte der Autor einige Details aus dem Leben Rybas wie auch die zeitliche Abfolge mancher Ereignisse.
Mit der Nacht de Hirten ist dem Stadttheater Brno eine Inszenierung gelungen, die das Zeug dazu hat, breite Zuschauergruppen anzusprechen. Aus mehreren Gründen würde ich die Aufführung auch einem jüngeren Publikum empfehlen. Das Stück selbst wie auch seine gelungene Umsetzung bieten künstlerische Qualität und Aufrichtigkeit, und ich will nicht verschweigen, dass es hier auch eine sanfte und unaufdringliche pädagogische Botschaft gibt, wie sie heute in der Welt der Kunst eher weniger angesagt ist. (Ryba selbst nahm nicht nur, wie schon gesagt, seinen Lehrerberuf sehr ernst, sondern war als Lehrer auch von anderen hoch geschätzt und anerkannt.) Das Publikum gewinnt einen Einblick in eine Epoche des erwachenden nationalen Selbstbewusstseins, die heute ebenfalls kein dominierendes Thema mehr darstellt, und wird auch zum Nachdenken über die Stellung schöpferischer Persönlichkeiten damals und heute angeregt. Die dramatische Umsetzung behandelt vor allem das zeitlose, ewige Thema des Konflikts eines Einzelnen mit seiner missgünstigen Umgebung, seines Kampfs mit Unverständnis, Hass und Intrigen, mit der unausrottbaren menschlichen Kleinheit.
EIN GEHETZTES GENIE IM KAMPF MIT DEM MITTELMASS
Jana Soukupová 25. September 2021 zdroj MF Dnes
Mitten in der Epoche der „Normalisierung“ unter Husák schrieb der tschechische Dramatiker Josef Bouček sein Stück Nacht der Hirten, in dem er einen anderen Blick auf jenen Teil des Lebens von Jan Jakub Ryba warf, in dem dieser seine berühmte Böhmische Weihnachtsmesse schuf.
Das Drama über die „grausame Alltäglichkeit und menschliche Kleinheit“, mit welcher der geniale Musiker und klare, direkte Mensch Ryba zu kämpfen hat, hatte dank dieser allegorischen Botschaft Erfolg in den Zeiten das allgegenwärtigen Sozialismus und wird auch heute noch relativ häufig gespielt.
Das Stadttheater Brno führt das Stück unter der Regie von Petr Gazdík als klassisch inszeniertes Drama auf einer ganz einfachen stufenförmigen Bühne von Emil Konečný auf, die es gestattet, dass hier zeitgleich Dialoge stattfinden, die sich in mehreren verschiedenen Umgebungen abspielen. Der Handlungsablauf wird somit durch nichts gestört und hängt ganz von den Leistungen der Schauspieler ab.
Und die sind beim Stadttheater üblicherweise auf hohem bis sehr hohem Niveau. Dies gilt für den zuverlässigen Milan Němec in der Rolle des Komponisten Ryba ebenso wie für die mütterliche Alena Antalová als seine Ehefrau Anna. Allerdings auch für Jan Mazák, welcher den heimtückischen und rachsüchtigen Pfarrer Zachar nicht als überzeugenden Bösewicht spielt, sondern als einen erschöpften alten Mann, der Ryba weniger aufgrund seines bösartigen Charakters verfolgt, sonder eher deshalb, weil ihm sein eigenes Leben unwiederbringlich entrinnt und er es nicht mehr versteht. Desto überzeugender wirkt am Ende auch seine späte Läuterung durch Rybas Musik.
Dad personifizierte Böse verkörpern in schon fast anziehender Weise Viktor Skála als beschränkter Ratsherr Pokorný und Jana Musilová als seine giftige Ehefrau.
Die Stärke des Stücks liegt überhaupt eher in den gut geschriebenen Dialogen als in der doch recht schablonenhaften Darstellung der Figuren, deren eindeutige Aufgabe der „Kampf des Guten gegen das Böse“ ist. So gesteht denn auch das beim Stadttheater Brno traditionell sehr sorgfältig ausgearbeitete Büchlein, welches hier das Programmheft ersetzt, ein, dass in Rybas Leben in Wirklichkeit alles weitaus weniger schwarz-weiß war, und dies einschließlich der tödlichen „Hetzjagd der beschränkten Umgebung auf das musikalische Genie“.
Das Drama ist jedoch wahrlich kein Stück zur Erholung, denn Erfreuliches enthält es nichts. Es ist jedoch ordentlich inszeniert und vermittelt auch ein gewisses Bild von Rybas Leben.