Nach Brno kehrte der Fiedler auf dem Dach zurück. Und es ist gut.
Luboš Mareček 1. Dezember -1 zdroj MF DNES
Das berühmte Musical Der Fiedler auf dem Dach, das am Wochenende in zwei Uraufführungen vom Stadttheater Brno aufgeführt wurde, steht in der letzten Zeit im Inland hoch im Kurs. Nach Brno kehrt der berühmte Titel nach fast vierzig Jahren zurück, jetzt wird er auch seit längerer Zeit in Zlín und im Prager Theater Divadlo na Fidlovačce aufgeführt. Die tragikomische Geschichte des jüdischen Milchmannes Tovje, seiner Frau Golda und seiner fünf Töchter ist eine nicht pathetische Feier der menschlichen Solidarität. Das witzige Libretto entstand im 1964 nach humorvollen Geschichten von Šolom Alejchem. Der Fiedler reihte sich im Brünner Repertoire zu den Werken der Goldenzeit des Musicals von sechzigen Jahren an, zu denen die Megahits wie Hello, Dolly! oder Funny Girl gehören.
Das berühmte Weltmusical ist in vorrevolutionäres Russland am Anfang des 20. Jahrhunderts und in die Zeit der großen antisemitischen Pogroms situiert. Der deutsche Regisseur Pavel Fieber schuf in Brno eine dramatisch einfache Inszenierung, die ziemlich genau die Atmosphäre der jüdischen Stadt Anatevka in der Ukraine im Jahre 1905 spiegelt.
Fieber verließ sich auf die Grundpfeiler des Musicals: geschickte Schauspieler, Musik und Gesang, und auch auf die effektvollen Tanznummer. Er selbst schuf aus drei einfachen Eisenwänden auch die Szene. Die massive verrostete Platte verschiebt sich grauenerregend vom Horizont zum Publikum. Die Schauspieler haben, ganz in Übereinstimmung mit tragischem Ausklingen des Musicals, immer weniger Platz für ihr Bühnenleben und Handlung. Neben den einfachen Kulissen ist ein außerordentliches Erlebnis auch die Choreographie von Vladimír Kloubek, insbesondere bei Auftritten des Männerchors. Einen solchen Tanz haben sie sicher nie gesehen!
Fieber trieb es vielleicht nur mit der überspannten Benutzung der tschechisch - russischen verstümmelten Sprache zu weit, die weder witzig noch funktionell ist. Es geht aber nur um eine Sprosse auf der Schönheit des Spiels, das sicher wert ist, zu sehen zu sein.
Der Fiedler ohne unnötige Flitter
Josef Herman 1. Dezember -1 zdroj Theaterzeitung
Das Musical Der Fiedler auf dem Dach wird in der letzten Zeit oft gespielt, im Stadttheater Brno würde ich es aber nicht erwarten. Stanislav Moša mit seinen Dramaturgen setzt auf neue Stücke, eventuell auf wenig bekannte oder bei uns nicht gespielte Musicals, er braucht nicht die Besucherzahl nachzuholen. Es ist doch ein klassisches Werk und darüber hinaus färbte es der deutsche Regisseur Pavel Fieber mit keinem Farbstift aus, wie gewöhnlich, sondern er maß es gewissermaßen mit geometrischen Mitteln. Mit ähnlicher Methode kam er der Operette in Brno nicht zuviel bei, demgegenüber hatte er mit ihr in Cabaret Erfolg, in dem er sich mehr um gesellschaftliche als private Folgerungen der Geschichte interessierte. Im Fiedler wölbte er sogar die zu viel ideologische Konstruktion mit sympathischen Mitteln aus.
Vor allem erinnert hier nichts an die gewöhnlichen Bilder von Chagall und beinahe verschwand auch die symbolische Gestalt des Fiedlers. Die Attribute der jüdischen Folklore blieben nur im beschränkten Maß. Der Regisseur und gleichzeitig Bühnenbildner in einer Person ließ auf der Bühne nur Stockerl und Tische und bei Bedarf gab er notwendiges Zubehör zu.
Den Hintergrund der Bühne schloss er dicht mit einer Blechwand, in der nur eine einzige schmale Tür wie die Verbindung von Anatevka mit der Außenwelt blieb. Die Wand wird in den Schlüsselmomenten des Spiels verschoben und sie drängt die Juden hinaus, so dass im Augenblick der Vertreibung ihnen nur ein schmales Band der Vorszene bleibt.
Wenn sie sich entscheiden wegzugehen, geht die Wand auf, die Juden mit Koffern brechen zum strahlenden Horizont auf, aber der Weg wird wieder mit einer neuen Wand gesperrt und die Gestalten, die sich zu dem Publikum resigniert wenden, haben auf ihren schwarzen Mänteln strahlende gelbe Sterne. Wirkungsvoll, aber schon zu viel anschaulich und abgespielt, auch wenn die Bestrebung des Regisseurs, besonders des deutschen Regisseurs, an das Holocaust wieder und wieder zu erinnern, sympathisch ist. Denn es kann nicht vergessen werden, solange die Menschen wegen ihrer politischen, religiösen oder egal welchen Überzeugung eingesperrt und umgebracht werden.
Die Schauspieler in Brno überspielten unter der Fiebers Leitung nicht, wie es hier in der letzten Zeit zu übler Gewohnheit wurde, sondern mit entsprechend puristischen Schauspielmitteln schufen sie glaubliche Gestalten, mit denen der Zuschauer fröhlich oder traurig sein, über sie lachen und sie bedauern kann. Nicht einmal Ladislav Kolář (alterniert von Zdeněk Junák) betont das Judentum des Milchmannes Tovje zu viel, es ist ein Mensch, der sich durch Leben schlägt und versucht, alle seine Gedanken sich im Kopf zu ordnen. Der Abschied mit Hodl auf einer imaginären Zughaltestelle ist gerade dank der Natürlichkeit des Verhaltens sehr wirkungsvoll. Im Angesicht eines solchen Musicals zeigt sich die Kraft des Mošas Ensembles auf der Grenze des Schauspiels und Musicals. Eine so präzis gesungene, getanzte und gespielte Szene der Tovjes Töchter über ihre Bräutigame sah ich vielleicht noch nicht. Vor allem die drei ältesten Töchter in der Darbietung von Jana Musilová (Cajtl), Ivana Vaňková (Hodl), Mária Laľková (Chava) zeichneten sich aus. Es sollten doch alle genannt werden, auch Pavel Šrut, dessen sprachlich reiche Übersetzung dieser zeitlosen Inszenierung perfekt entsprach. Und Jiří Petrdlík, der mit Karel Cón die Musiknummer gut einstudierte und leitet. Übrigens, ein live spielendes, voll besetztes und gut spielendes Orchester ist in den heutigen Musicalproduktionen nur schwer zu finden. Und noch mindestens Vladimír Kloubek wegen seiner originellen Choreographie.
„Na, Mädel, nimm! Hab´ ich Recht?“
M. Hudec 1. Dezember -1 zdroj Echo
Das Stadttheater Brno wird immer mehr zu einer tschechischen Musicalszene. Es brachte an uns schon eine Reihe von den durch hunderte Wiederaufführungen geprüften Inszenierungen, eine Reihe von Autormusicals oder Übersetzungen der ausländischen Musicals.
Anfang Mai konnten wir auf der Musikszene des Theaters das Musical der amerikanischen Autoren Josef Stein-Sheldon Harnick und Jerry Bock „Der Fiedler auf dem Dach“ sehen. Das Werk wurde vierzig Jahre lang in den vornehmlichen Theatern der Weltmetropolen aufgeführt. In New York hatte es mehr als dreitausend und in London mehr als zweitausend Wiederaufführungen und, was die Statistik betrifft, gehört es zu den längst gespielten Musicalwerken der ganzen Theatergeschichte.
An Fieber gelang es, die Vorteile der Dirigenten Jiří Petrdlík und Karel Cón, der Autorin der Kostüme Andrea Kučerová, des Choreografen Vladimír Kloubek und der Chorleiterin Jana Hrušková auszunutzen. Neben der Regie griff er in das Stück auch mit einigen Anpassungen ein und schuf eine unkonventionelle Szene. Es gelang ihm, auch mit der Verwendung des Davidsterns am Schluss des Spiels, die Handlung mit furchtbarem Holocaust zu futurisieren.
Das Theater besetzte diese Inszenierung mit seinen besten Schauspielern. Ladislav Kolář stellte den Milchmann Tovje dar, Miroslava Kolářová seine Frau Golda, die Töchter wurden dann von Jana Musilová, Ivana Vaňková, Mária Laľková, Terezie Jurečková und Vendula Otisková dargestellt. Die Kupplerin Jente spielte Květoslava Ondráková, den Schneider Motl Petr Brychta, den revoltierenden Student Percik Jan Jackuljak, den Fleischer Wolf Milan Horský, den Rabbi Miloš Kročil und andere. Alle Schauspieler spielten ihre Rollen mit voller Einsetzung, und noch dazu, die Gefühlssituationen lebten sie auch durch. Es gang nicht nur um Theater, sondern um einen wirklichen Kampf mit Ungerechtigkeit.
Den Autoren dieses sicher nicht einfachen Musicalwerks ist nur zu gratulieren und wir können uns mit ihnen auf weitere ähnlich tiefe Erlebnisse freuen.
Der Fiedler auf dem Dach
David Kroča 1. Dezember -1 zdroj Český rozhlas 3, Vltava
Das Musical nach den Erzählungen von Solom Alejchem bietet an heutige Inszenatoren immer noch eine Reihe von aktuellen Themen. In der rührenden Geschichte des jüdischen Milchmannes Tovje und seiner vielköpfigen Familie in Russland in der Zeit vor der Revolution und kurz vor den antisemitischen Pogromen wird das Thema der Intoleranz gegenüber den Volksgruppen sowie das Problem der Unversöhnlichkeit von verschiedenen Religionen bearbeitet. Der gastierende Regisseur Pavel Fieber versucht zu zeigen, dass das Fundamentalismus in jeder Religion zum Hass und Konflikten führt.
Die Verschiedenheit der Welt der jüdischen Gemeinschaft und der Christen strich er in seiner Bearbeitung auch damit unter, dass er die Bewohner des russischen Dorfs Anatevka verstümmeltes Russisch sprechen lässt, während Tovje und seine Stammgenossenen die Ausdrücke aus der Sprache Jiddisch in ihr Wörterbuch einordnen. Was den Gesamteindruck betrifft, ist aber der Einfall des Regisseurs bei der Gestaltung der Szene mehr gelungen und mehr eindrucksvoll. Die Szene wird am Horizont mit einer von Korrosion beschichteten Blechwand beendet, welche in den Bruchaugenblicken der ausbrechenden Verfolgung in Richtung der Zuschauer verschoben wird und so demonstriert, wie der Hass den Lebensraum der Helden begrenzt. Die Fiebers Auffassung ist eine Zivilauffassung, frei von allen überflüssigen Bühneneffekten. Wenn er die Bühne beleben will, setzt er auf die bewährte Musik des sicheren, von Jiří Petrdlík und Karel Cón geleiteten Orchesters und auch auf die originelle Choreographie von Vladimír Kloubek, der an die Zuschauer mehrere Überraschungen vorbereitete. Es ist nicht nötig sie zu verraten, vielleicht nur hinzuweisen, dass die Zuschauer bei den Nummern des Männerchors auch den berühmten Tanz mit Flaschen auf den Hüten sehen werden.
Auch wenn die Schauspieler sehr ausgewogene kollektive Leistung bieten, ragt, schon wegen dem Text, die Gestalt des Milchmannes Tovje heraus. Zdeněk Junák, von Ladislav Kolář alterniert, fasste den Protagonisten wie einen Mann mit festen Prinzipien, der immer einen Kampf zwischen dem Kleben an den Traditionen und der Stimme seines Herzens sowie Vernunft ausfechtet. Wenn die älteste Tochter Cajt den armen Schneider anstatt des reichen Fleischmannes heiraten will, gelingt es ihm, die Achtung vor den alten Regeln sowie die eigene Eitelkeit in sich zu unterdrücken, wenn aber die mittlere Tochter Chava einen Andersgläubigen geheimnisvoll heiratet, erklärt er sie mit Steinausdruck für tot. Die Junáks Leistung war nicht nur bei der Interpretation der bewährten Hits, wie das Lied Wäre ich Rotschild sein, zuverlässig, sondern auch bei kleinen humorvollen Austritten, wie z.B. bei der komischen Überspielung des fingierten Traumes vor der eigenen Frau. Miroslava Kolářová spielt ihre Golda mit Innenspannung wie eine abgerackerte Hausfrau, in der sich doch in gespannten Momenten Verständnis und Liebenswürdigkeit erwecken. Sie gab ihrer Heldin tragische Dimension, ohne dabei zu Nostalgie oder Pathos zu fallen.
An der Inszenierung Der Fiedler auf dem Dach im Stadttheater Brno ist sympathisch, dass es sich um keine polierte Schau handelt. Einfache Szene, strenge Kostüme, sparsame Schauspielkunst – das sind die Mittel, mit denen die einfache Geschichte über einfache Menschen in einer ungastlichen Welt die Dimension einer wirkungsvollen Tragödie bekommt. Diese Feststellung ist umso mehr wertvoller, dass solcher Zutritt zum Musical in unserem Land nicht gewöhnlich ist.