Stadttheater Brno: eine goldene Fliege und ein Jugendstil-Maler
Pavel Gajdoš 3. Oktober 2011 zdroj České novin
Stadttheater Brno: eine goldene Fliege und ein Jugendstil-Maler
Zu zwei ambitiösen Themen griff das Stadttheater Brno bei den ersten zwei Premieren der Saison. Im ersten Fall zu den durch den Film berühmten Studenten im Stück Schule, das Fundament des Lebens, im zweiten Fall versuchte es dann, das Leben des weltberühmten tschechischen Malers Alfons Mucha zu erfassen, bevor dieser seine berühmte und kontroverse Slawische Epopöe malte.
Die Regie der Inszenierung ergriff im Stadttheater Brno die bewährte Hana Burešová, die dort schon eine Reihe von bewährten Komödien, z.B. Steingast oder Wollüstling oder Ernst sein ist alles in Szene setzte. Burešová ist die Garantie dessen, dass es kein primär-planmäßiger Humor, keine Laszivität oder unbegründete Veräußerung angeboten werden, was leider zu einer Unsitten der Zuschauertheater wird. Zum Glück erfüllte es sich bei den Studenten wieder, und so ist in der Straße Lidická eine geschmackvolle, nicht unnötig verlängerte Vorstellung zu sehen, in der natürlich die Kultredewendungen „Jetzt werde ich ihnen anschaulich vorführen, wie der Dichter zu einem Zwerge wird“ oder „Was ist das Glück? Nur eine goldene Fliege!“ nicht fehlen können.
Nur wenige wissen, dass der legendäre Film von Martin Frič Schule, das Fundament des Lebens kein Erstlingswerk ist. Das Drehbuch entstand aufgrund der erfolgreichen Theaterkomödie, die auf Aufforderung von E.F. Burian der Mittelschullehrer Jaroslav Žák schrieb. Und zwar durch die Bearbeitung der in jener Zeit sehr beliebten humoristischen Prosa Die Studenten und Professoren. Gerade von der Theaterversion von Žák ging Burešová aus. Die vielseitige Kunst der Schauspieler nutzte sie dann zur Erfrischung aus – zwischen den einzelnen Auftritten nehmen die Schauspieler die Musikinstrumente in die Hand und mehrmals spielen als eine Studentenkapelle die beliebten Hits jener Zeit.
An Burešová gelang es vor allem, die Protagonisten der Studenten auszuwählen. Genau für ihre Rollen sind zum Beispiel „Rebelle“ Benetka von Petr Štěpán, Poseur-Dichter von Milan Němec, Kriecher Krhounek von Vojtěcha Blahuta sowie verschüchtertes Mädchen Marta Nováková von Lenka Janíková. Von den Lehren sind Ivana Vaňková als Supplentin Lachotová und Martin Havelka als Chemielehrer Cafourek zu erwähnen, die ihre posiviten Rollen empatisch darstellten. Für das Stück ist auch die einfach variable Szene von David Marek sehr behilflich.
Im Unterschied zu den Stundenten ist die Muchas Epopöe ein neues originelles Projekt des Bühnenbildners, Choreographen und Regisseurs Šimon Caban, der als Autor des „Visuellen“ für den Filmfestival Karlsbad berühmt wurde. Für die Erfassung eines Teils des Lebens des Jugendstylkünstlers auf der Musikbühne des Stadttheaters Brno knüpfte er die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Aleš Březina an, der Autor der Musik z.B. für die Filme Knoflíkáři, Kráska v nesnázích oder Obsluhoval jsem anglického krále ist.
Die Inszenierung orientierte sich an das Ende des 19. Jahrhunderts, wann Mucha versuchte sich in der Kunstwelt von Paris und New York durchzusetzen. Am Ende gewann doch die Liebe zu seiner tschechischen Heimat. Auf der Szene erscheint so zum Beispiel die bezaubernde und gleichzeitig hysterische Schauspielerin Sarah Bernhardt in der treffenden Darbietung von Markéta Sedláčková, Maler Luděk Marold in der Darbietung von Jaroslav Matějka sowie Marie Chytilová, Muchas Lebensliebe, wieder in der Darbietung von Sedláčková.
An Caban gelang es, zur Worttreue nicht zu rutschen, er machte auch Muchas farbige dekorative Bilder nicht nach, sondern ließ ihre Protagonisten nur für einige Sekunden im Rahmen zu posieren. Zu schnellem Umbau der Szene dienen dann die Bühnenaufzüge der Musikbühne, gelungen ist auch die Musik von Aleš Březina.
Meister Mucha – unser Vorbild!
Luboš Mareček 2. November 2010 zdroj Theaterzeitung
MeistDas neue Stück des Stadttheaters Brno, Muchas Epopöe genannt, zeichnet sich auf der hiesigen großen Bühne durch geschickte Arbeit mit Raum, Licht und Bewegung aus. Unter diesen Inszenierungsbestandteilen ist Šimon Caban unterschrieben. Der Titel dieser Rezension will den beinahe aus der Zeit der Nationalwiedergeburt stammenden Geist evozieren, durch den die Atmosphäre des ganzen Stücks bestimmt wird. Muchas Epopöe ist in ihrem Ergebnis ein bisschen verbittert ironisch, wenn man durch den Mund des Malers selbst über muffiges tschechisches Talbecken redet, wo es noch lange dauern wird, bis die Sonne beginnt hierher einzudringen. Der drei Stunden dauernde Bühnenkoloss untersucht doch ohne größere Hyperbel das Echte, was aus dem Leben und Vermächtnis von Mucha blieb. Und er macht es mittels profanierter Plakate oder mittels aktuelles innenstaatliches Streits nicht, der dem heutigen Publikum durch den berühmten Bilderzyklus vielleicht am meisten erinnert wird. Die Autoren gaben zu, dass sie an diesem umfangreichen Projekt schon vor drei Jahren zu arbeiten begannen, wann die Balgerei zwischen Moravský Krumlov und Prag noch nicht aktuell war.
Der Librettist, Regisseur und Bühnenbildner Šimon Caban und der Komponist Aleš Březina schufen keine bibliographische Szenenfolge über den berühmten Landesmann von Ivančice, auch wenn wir Muchas Leben von seiner Kindheit bis zur ersten Dekade des letzten Jahrhunderts geradlinig verfolgen. Es entstand eine gewisse bildlich-musikalische Epopöe über das Leben des weltberühmten Malers und kein Jugendstil-Leporello aus dem Leben des anerkannten Internationalers, obwohl ihr Finale schon zu viel beschreibend und langwierig ist. Die Autoren sondieren auf dem Grundriss Muchas Lebens zum Beispiel die Themen der Nationalfrage, des stolz getragenen Patriotismus, sowie die dem ungewöhnlichen Talent dienende außerordentliche Arbeitsamkeit und die Besessenheit von der Welt der Schönheit. Den großen Paradox des Lebens von Alfons Mucha, der als lauter Verteidiger der slawischen Emanzipation und Gegenseitigkeit in der Österreichischen Monarchie geboren wurde und im Protektorat Böhmen und Mähren starb, nutzen die Autoren leider nicht. Sie baten doch andere Perspektiven an.
Außer des Kostüms von Sarah Bernhard, mit deren Plakat-Gismonde der Maler die Unsterblichkeit für sich selbst sowie für die Schauspielerin sicherte, finden sie in der Kostümausstattung von Simona Rybáková keine Opulenz. Es herrschen hier Mäßigkeit und Andeutung und alles ist sympathisch einfach und meistens schwarzweiß. Mucha in einfacher slawischen Jacke, die anderen in einfachen, doch einfallsreichen Kostümen. Farbig soll dieser Theater-Mucha vor allem in seinem inneren Sinne sein. Caban und Březina begleiten den Maler seit seiner in Ivančice verbrachten Jugend über seine bittere Existenz in Wien, akademische Studien in München, phänomenales Erfolg in Paris, Besuch in Amerika bis zu seiner Rückkehr in die Heimat, wo er sich, schon wie ein in der Welt anerkannter Künstler, um 1910 auf dem Schloss Zbiroh ansiedelte um das berühmte Zyklus aus der slawischen Geschichte für die junge Tschechoslowakei und für das amerikanische Geld zu malen. Auch wenn es seinem Volk egal war.
Caban mit Březina nannten ihr Opus visuelles Theaterereignis. Vielleicht wollten sie darauf aufmerksam machen, dass es sich diesmal auf der weiten Musikbühne um kein Musical handeln wird. Caban schafft auf der riesigen Bühne seine eigene Epopöe in der Form von schnell wechselnden Bühnenbildern. Es hilft ihm dabei ausgezeichnet die Musik von Březina; einmal ist sie Stimmung bestimmend, ein anderes Mal erinnert sie an eine großartige Symphonie, manchmal evoziert sie einfallsreich auch die Umgebung von Ivančice, Wien, München, Paris, New York oder Prag. Březinas Musikblöcke stellen den Trumpf der Inszenierung dar, die sich in ihrem Finale durch gewisse mechanische Schwungkraft auszeichnet. Es ist z.B. der Fall der mit Licht über feine Leinwand in große Rahmen gezeichneten Bilder, in denen die Gruppen von Schauspielern ganz im Geiste der ein bisschen pathetischen Posen von Mucha erstarren. Genauso die Vorliebe von Caban in fahrenden Schiffen und Zügen riecht bei ihrer wiederholter Verwendung nach einer Manier. Zum Glück arbeitet der Regisseur einfallsreich mit dem Schattenspiel und als ehemaliger Tänzer weiß er die Bühnenbewegung in feiner Choreographie zu koordinieren.
Die Inszenatoren waren sich bewusst, dass das mit Fleißigkeit und schwerer Arbeit gefüllte Leben von Mucha frei von skandalösen Peripetien oder persönlichen Tragödien war. Vielleicht auch deswegen entstand im Textbuch, das voll von großen Namen ist - z.B. Gauguin, Marold, Bernhard, Loos oder Donator C.R.Crane ist - die Gestalt eines gewissen Vroubek. Dieser verlogene, talentlose Tscheche, der die Zeichnungen von Mucha stehlen will und später als einflussreicher Politiker sein Talent zertreten will, stellt die Essenz der nationalen Untugend dar. Im Textbuch soll Vroubek als imaginäre Personifikation der menschlichen sowie professionellen Verderbtheit, wie Pandan des schöpferischen Fleißes von Mucha und des Unrechts und der Ignoranz funktionieren, die der Maler von seinem eigenen Volk erlebte. Diese Figur wirkt doch manchmal zu viel synthetisch.
Von den Schauspielern wird die größte Aufmerksamkeit an Michal Isteník in der Titelgestalt gewidmet. Auf der Bühne läuft ein gutmütiger Junge, der auf seine Freundlichkeit und Biederkeit zu viel vertraute. Dieser Mucha ist nie böse, er ist ein echter Altruist. Das ewige Lächeln von Isteník ist doch nach einer Zeit kontraproduktiv. Seine Leistung ist eigentlich einseitig und flach wie das Textbuch selbst. Mehr farbig sind die Gestalten der ergebenen Ehefrau Marie in der Darbietung von Markéta Sedláčková oder früh verstorbene Marold (von Jaroslav Matějka als ein sympathischer Bohemien präsentiert).
Die Inszenierung fesselt auch durch einfache doch technisch anspruchvolle Ausstattung. Anziehend ist kontinuierliches Durchdringen von großartigen, doch nicht leer effektvollen Bildern. Nur mit jener gelobten menschlichen sowie künstlerischen Majestät von Mucha übertrieben es die Autoren ein bisschen. Der Meister kann doch wirklich ein Vorbild für uns sein, auch wenn es für die pragmatischen Zeitgenossen ein bisschen altväterisch ist. Auch deswegen ist es gut, dass die Muchas Epopöe auf der Bühne des Stadttheaters Brno „noch einmal gemalt wurde“.
Muchas Epopäe hält weder auf Moravský Krumlov noch auf Prag
Vladimír Čech 1. November 2010 zdroj KAM
Schon der Untertitel selbst - “visuelles Theaterereignis“, den der Regisseur, Bühnenbildner, Choreograph und Librettist Šimon Caban und der Komponist Aleš Březina ihrer Muchas Epopöe verliehen (die Premiere fand am Samstag, den 18. September auf der Musikbühne des Stadttheaters Brno statt), signalisiert, dass es sich um ein Genre handelt, das in keine Kategorie passt.
Es ist kein Musical, das die Zuschauer hier gewöhnlich erwarten. Die Partitur von Březina, die nur mit live spielenden Instrumentalisten rechnet, dringt vielleicht die ganze Inszenierung durch, sie werden doch kein Gesang von den Schauspielern hören. Und wenn wir Muchas Epopöe in eine Kategorie um jeden Preis einordnen möchten, würden wir vielleicht Melodrama auswählen.
Caban in allen vier oben angeführten Funktionen lässt uns, mit großer Hilfe von Březina, in Muchas Epopöe in die Peripetien des Lebens des Malers chronologisch einzusehen. Er fabuliert nicht, im Gegenteil, er respektiert die historischen Fakten. Und so treffen wir Mucha in Prag, Wien, München, Paris und New York um von hier wieder in unsere Hauptstadt demütig zurückzukehren. Muchas Gegnerspieler sind natürlich auch reale historische Gestalten, z.B. sein Freund Luděk Marold, Sarah Bernhardt, Paul Gauguin oder Marie Chytilová, zukünftige Ehefrau des Künstlers. Man kann also sagen, dass für den, der über diesem Landsmann aus Ivančice bisher nur wenig oder sogar nichts wusste, ist die Inszenierung eine gewaltlose Schule um mehrere Informationen zu bekommen.
Als Regisseur und Autor verlieh Caban diesmal der schnellen Szenenfolge, vielleicht sogar Reportagenszenenfolge von dreiundvierzig Bildern keine gehörige Gradationskadenz, so dass das „Ereignis“ ein bisschen langwidrig wirkt. Nicht einmal das opulente bildnerische Flittergold von Caban, das wirklich eine Augenweide ist, retuschiert die Schwächen des Texts nicht.
Die Musik von Březina hört sich angenehm, der Komponist ist sehr gnädig für die Ohren des Zuschauers, er reizt sie mit keinen Disonanzen. Die Suite aus den gelungensten Teilen würde sich auch ihr eigenes Konzertleben verdünnen. Natürlich, dass Březina auf die Illustration nicht verzichtet, so dass z.B. Aufenthalt von Mucha in München mit majestätischen Nachklängen alla Wagner koloriert ist und zu Paris das Instrumentalium mit Chanson-Andeutungen gehört. Unter der Musikeinstudierung ist Ondřej Tajovský unterschrieben, der die Premiere auch dirigierte. Auch wenn Michal Isteník mit seinem erdig biederen Ausdruck und vor allem mit seinem körperlichen Aussehen die gewöhnliche Vorstellung von Mucha vernichtet, verdient seine Leistung gelobt zu sein. Aus der Reihe von anderen Gestalten werden sie sich vor allem die Doppelrolle von Marie Chytilová und Sarah Bernhard in der Darbietung von Markéta Sedláčková, Marold in der Darbietung von Jaroslav Matějka und Gauguin in der Darbietung von Stanislav Slovák im Gedächtnis behalten.
Die Slawische Epopöe selbst bildet kein dominantes Motiv der Handlung dar, sie wird namentlich erst im Schluss erwähnt, also erst wenn sie „an der Reihe“ ist. Das Finale ist dann keine Glorifikation des Slawentums, erst ein Fragezeichen nach dem tschechischen Charakter. Und wer vielleicht erwarten würde, dass hier ein kategorisches Urteil zu hören ist, wo die Slawische Epopöe ihr definitives Zuhause finden soll, wird enttäuscht sein. Muchas Dedikation des Werks an Prag fehlt hier natürlich nicht, aber es wird hier gerecht auch angeführt, unter welchen Bedingungen.
Muchas Epopöe ist die Theateraussage über einen Lebenstraum
Karla Hofmannová 11. Oktober 2010 zdroj www.zivotnistyl.cz
Das Stadttheater Brno führte auf seiner Musikbühne ein mehr als aktuelles Theaterstück auf. Muchas Epopöe, das Werk, das das Leben des berühmten Künstlers mappiert, der zu Hause nicht erwünscht war und eigentlich noch immer nicht erwünscht ist.
Die Grundlage der Szene sind riesige transparente Leinwände, hinter denen die monumentalen Arbeiten von Mucha als lebendige Bilder durchscheinen. Sie arbeitet mit Andeutungen und mit einer wundervollen Verkleinerung des Zugs, mit dem Mucha reist, oder des Schiffs, das die Briefe des Künstlers und seiner Geliebte transportiert; wirkungsvoll ist auch die Andeutung der Seine. In einer schnellen thematischen Reihenfolge sind die Schlüsselbilder aus Muchas Leben geordnet oder seine idealistischen Gedanken proklamiert. Hier schnürt sich das Stück doch zu, es wird zu viel edukativ und beschreibend. Der Regisseur ersetzt den Mangel an dramatische Spannung auf der Szene durch Erhöhung des Dezibelspiegels. der schnell sein Maximum erreicht und eintönig wirkt. Darüber hinaus verschlechtert er die Verständlichkeit der gesprochenen Dialoge, auch wenn alle Schauspieler Mikroports verwenden.
Der Darsteller von Alfons Mucha ist Michal Isteník, der die Vorstellung über einen einfachen, mährischen, idealistischen, unpraktischen und altruistischen Künstler erfüllt; er ist ein lieber und unmittelbarer Junge. Er ändert sich während der Zeit nicht und bleibt auch am Ende derselbe, wann er sich schon als ein erfahrener Mann entscheidet, sich zurückzuziehen und nach seinen Vorstellungen zu arbeiten. Die anderen Gestalten sind nur Episodengestalten, sie gehen sein Leben durch. Nur Markéta Sedláčková als Sarah Bernhardt und seine zukünftige Ehefrau Marie und Lenka Bartolšicová als Mme Charlotte, Mutter der Künstler, treten ein bisschen in den Vordergrund. Eine vom Autor zugefügte Gestalt ist Vroubek, der als der einzige Konflikt in die Beziehungen bringt. Ein typischer kleiner Tscheche, Essenz des tschechischen Charakters, verkannter Maler, später Politiker, der neidisch ist und schadet.
Muchas Epopöe ist ein sehr aktuelles Werk, obwohl es hier kein einziges Wort über gegenwärtige Streite um sein Werk zu hören ist und trotzdem es über die mehr als ein hundert Jahre alten Ereignisse spricht. Hochprofessionell durchgeführt, sehr idealisiert und im Schlussausklingen ein bisschen traurig. Deswegen, wie wir feststellen, dass wir uns, als das Volk, seit jener Zeit nicht viel änderten.
Muchas Leinwände belebten auf der Musikbühne
Iveta Macková 1. Oktober 2010 zdroj Kult
Die Weltpremiere des originellen Projekts Muchas Epopöe über das Leben und Werk von Alfons Mucha wurde in der zweiten Mitte des Septembers vom Singspielensemble des Stadttheaters Brno auf seiner Musikbühne aufgeführt. Der Librettist dieses ganz neuen Projekts ist Šimon Caban, der hiermit nach der Februar-Dabütinszenierung Die nackte Muse auf die Bühne des Stadttheaters Brno zurückkehrt.
Diesmal stellt er sich neben der Regie und der Szene auch in der Rolle des Librettisten und Choreographen vor. Seiner Auffassung dominiert der einfallsreiche und ungewöhnliche Bildbestandteil. Große weiße Gemälden werden durch Durchleuchtung der Leinwände in stilisierte Bilder von lebendigen, hinter diesen sich befindlichen Schauspieler „gemalt“. Zu Präsentierung, bzw. Darstellung der Elemente, welche auf der Bühne nicht anwesend sind, dienen die Projektionen; diese helfen auch einige Szenen voneinander zu trennen. Die zeitgemäß stilisierten einfachen und zweckmäßigen Kostüme sind die Arbeit von Simona Rybáková. Der Autor der Musik ist der Komponist und Musikolog Aleš Březina.
Die Handlung der Inszenierung schöpft aus den wirklichen Lebensschicksalen des Malers, Designers und Fotografen Alfons Mucha (1860–1939), seiner Freunden und anderer Menschen, die sich in seiner Nähe bewegten. Die Theatergeschichte beginnt mit Muchas Entscheidung, Maler zu werden. Mittels seiner Schicksale werden die damalige tschechische Gesellschaft und ihre Stellungen präsentiert, welche den talentierten Jungen weit von seiner geliebten und nie vergessenen Heimat austrieben. Die Handlung lässt auch die Situationen und Beziehungen zu emporragen, die sich seit der Zeit von Mucha in Tschechien nicht änderten - also eine Profession zu bewältigen bedeutet noch nicht anerkannt und geehrt zu sein, und umgekehrt – das menschliche Können ist heute wie auch damals Ziel der Gehässigkeit, während die menschliche Unfähigkeit öfters durch Intrigen und Engagement maskiert wird.
Der Darsteller der Titelgestalt ist Michal Isteník, dessen Besetzung der beweglichen sowie bildlichen Stilisierung der beinahe drei Stunden dauernden Inszenierung entspricht. Mucha in der Darbietung von Isteník erinnert den berühmten Maler zwar nicht, er ist doch dank seinem demütigen schauspielerischen Ausdruck eine ehrwürdige und angenehme Verkörperung des „Begleiters“ durch die Erinnerungen eines der berühmtesten tschechischen Künstler und Patrioten.
Muchas Epopöe: farbige musikalisch-visuelle Freske aus dem Leben des berühmten Malers
Kateřina Šebelová 29. September 2010 zdroj Velká Epocha
„Muchas Epopöe ist kein biographisches Melodrama, wie der Name andeuten könnte, sie ist nicht über die Slawische Epopöe oder ihrer Entstehung.“
Der Name des Malers Alfons Mucha ist in den letzten Monaten in Medien sowie bei der Öffentlichkeit ziemlich oft zu hören. Trotzdem setzt sich die neue Inszenierung des Stadttheaters Brno – Muchas Epopöe - nicht das Ziel fest, wie es auf den ersten Blick vorkommen könnte, dieses Thema irgendwie zu lösen. Das Textbuch des Stücks Muchas Epopöe, dessen Premiere am 18. September 2010 stattfand, entstand längst vor dem Streit um das berühmte Muchas Werk. Die Idee, sich in die Innenwelt von Mucha einzutauchen, seinen Charakter und die Umstände seines bunten Lebens zu entdecken, entstand im Kopf des Textbuchautors und Bewunderns Muchas Werks Šimon Caban schon vor drei bis fünf Jahren. Wie sagt der Autor selbst: „Das Theaterstück ist nicht über die Slawische Epopöe, sondern über die persönliche Epopöe von Mucha“.
Musikbühne ohne GesangObwohl die Epopöe auf der Musikbühne aufgeführt wird, hört hier der Zuschauer während der ganzen Vorstellungsdauer keinen Gesang. Die Autoren entschieden sich wegen einigen Ausdrücken des patriarchalischen Tschechisches auf den Gesang zu verzichten. Dieser Vorschlag zeigt sich außerordentlich glücklich zu sein und so kann das Publikum diese musikalisch-visuelle Vorstellung ohne krampfartigen Gesang voll von Sprachschnörkel zu sehen, der komisch ausklingen und Prestige schmälern würde.
Musikalischer Magier Aleš Březina
Die Musik hat im ganzen Stück eine unvertretbare Aufgabe. Sie untermalt die Emotionen, steigert die Dramatik, lässt die einzelnen Momente aus dem Leben des Malers fein erklingen und ermöglicht auch, in die Innenwelt von Mucha einzusehen. Hier setzte der Regisseur Caban sehr gut auf den Musikautor Aleš Březina. Březina – bekannter Autor der Film- sowie Theatermusik (Kawasakiho růže, Musíme si pomáhat, Elegie zmizelého,...) bietet ein buntes, suggestives und unterwerfendes Musikgemisch an, das zweifellos die stärkste Seite der Muchas Epopöe ist. Dazu trägt auch die bravouröse Bearbeitung der Musikmelodien durch das Orchester des Stadttheaters Brno bei, das unter dem Taktstock von Ondřej Tajovský eine behexende und ungewöhnliche Ohrendweide vorführt. Die neuen sowie traditionellen Musikwerke werden hier mit unglaublicher Spontaneität, Zärtlichkeit und Dringlichkeit belebt.
Mucha – alterungsbeständiger WorkoholikerMucha in der Darbietung von Michal Isteník wird hier als empfindlicher und begabter Künstler aber auch als für das Leben ein bisschen unpraktischer Mensch vorgestellt, der immer mit Zeit und Missverstanden seitens der Öffentlichkeit kämpft. An Isteník gelang es, patriotisches Herzen und malerisches Talent von Mucha auszudrücken - seine Wahrnehmung der Welt voll von Emotionen, Liebe, Slawentum und unendlichen Kämpfen mit sich selbst sowie mit seiner Umgebung. Michal Isteník ist meistens in einfache weiße Jacke mit Blüten angezogen, die sein Patriotismus und Slawentum charakterisiert. An Isteník gelang es zwar die Begeisterung und Emotionen des jungen Mucha auszudrücken, der sich in künstlerischer Welt von Paris, München, Wien und New York bewegt, der Workholiker Mucha wird doch nicht alt – auch wenn die Jahre vorgehen, bleibt der Schauspieler immer unverändert – mit seinen Ideen sowie visuell. Es fehlt hier auch die Würde des ausgereiften und alt werdenden Mucha, der sich anschickt sein Gipfelwerk – Slawische Epopöe – zu malen.
Von den anderen schauspielerischen Leistungen sind vor allem Muchas Freund, Maler Marold in der Darbietung von Jaroslav Matějka, die zarte Marie sowie strenge Sarah Bernhard in der Darbietung von Markéta Sedláčková oder Hana Kováříková als Verführerin, femme fatale und Gräfin Rothschild zu erwähnen. Die Gestalt des opportunistischen Vroubek, der auf Mucha sowie auf die tschechische Meinung über ihn destruktiv wirkt, wird durch Tomáš Sagher dargestellt. Diese Gestalt ist unnötig dramatisch und in der schon dramatischen Auffassung wirkt sie unnötig erkünstlert und überflüssig.
Szene – lebendig und farbigLebende Bilder – so könnte man die Schöpfung von Mucha auf der Bühne nennen. Mittels raffinierter Beleuchtung entstehen bei flüchtiger Berührung des Malers auf den Leinwänden die Gemälde, hinter denen lebendige Menschen in starren Posen stehen. Die an Bewegung reichen Szenen bei Bällen, im Atelier, in Kneipe, unterwegs oder in Freudenhäusern begleiten den Zuschauer durch die einzelnen Abschnitte Muchas Lebens. Ausgezeichnet sind die Kostüme aus der Werkstatt von Simona Rybáková – bunt, elegant, einfach, fein, reizend – genau das, was die Situation erfordert.
Muchas Epopöe ist kein biographisches Melodrama, wie der Name andeuten könnte, sie ist nicht über die Slawische Epopöe oder ihre Entstehung. Im Gegenteil, mit dieser Vorstellung öffnet sich die Möglichkeit eines neuen Genres. Das visuell-musikalisches Theaterereignis, wie die Autoren im Untertitel aufführten, vergeht an die Anwesenden nicht, bereichert sie und auch die Sinneswahrnehmung wird sicher satt. Die Liebhaber von Alfons Mucha, der Malerei sowie der guten Musik und schauspielerischen Leistungen werden sicher nicht enttäuscht sein. Die Theatervorstellung ist auch für Studenten geeignet, die auf eine ungewöhnliche Weise Mucha als Mensch und Künstler begreifen können.
Die Inszenierung von Caban – Muchas Epopöe – ist sympathisch pathetisch
Marie Reslová 28. September 2010 zdroj Kultura.iHNed.cz
Das Stadttheater Brno führte das „visuell-musikalische Theaterereignis“ Muchas Epopöe auf. So wurde das Werk, dem nichts an der Monumentalität der Slawischen Epopäe von Mucha fehlt, von seinen Autoren Šimon Caban (Regie, Szenographie, Libretto) und Aleš Březina (Musik) genannt.
Künstler als WorkoholikerIn Wirklichkeit entstand auf der Bühne des Stadttheaters Brno ein gewisses biographisches Großformat-Melodrama. Das Libretto von Caban ist eine ernste, ein bisschen zu viel intellektuelle Dokumentarsequenz – Muchas Biographie in Bildern und mit teilweisen metaphorischen Übergriffen. Es fehlen in ihm dramatische Linie sowie klar formuliertes Thema – falls es nicht die Beschreibung des tschechischen Künstlers als Workholiker, argloser Wohltäter und begeisterter Patriot ist. Die Musik von Březina ist elektrisch, wir hören in ihr Zitationen sowie Anklänge der tschechischen Komponisten, von Smetana bis zu Martinů. Sie untermalt als Tonkulisse die ganze, drei Stunden dauernde Inszenierung, sie begleitet beweglich-bildnerische Bilder und untermalt gesprochene Auftritte. Es ist interessant, dass das Wort in diesem Fall nicht musikalisch ist und der Musik etwa auf der Ebene des gesprochenen Kommentars zu Film entspricht, der den musikalischen Untergrund dramatisiert.
Tschechischer Hans in ParisDie Inszenierung Muchas Epopöe ist mit Informationen und interessanten Momenten aus dem Leben des Malers übersättigt. Im Gedächtnis bleiben die Freundschaft von Mucha mit Gauguin (Stanislav Slovák) sowie seltsam abgezogene Beziehungen mit Frauen und nahe Beziehung zu seinem Freund Marold (Jaroslav Matějka) sowie die Verkörperung des unfähigen, aufdringlichen und lästerlichen Vroubek (Tomáš Sagher).
Wirklich wunderschön und einfallsreich sind reine visuelle Bilder, die wirkungsvollste sind dann die „Kinderbilder“, wann die Landschaft der Muchas Kindheit – Landschaft von Ivančice - mit Schneeschleier bedeckt wird, der dann schrittweise „abtaut“. Anschaulich und bildnerisch witzig ist auch Muchas Künstlerkonfrontation mit Adolf Loos oder mit moderner Abstraktion. Eine von wenigen flinken Episoden ist das Treffen von Mucha (Michal Isteník) mit Sarah Bernhardt (Markéta Sedláčková) und die Schaffung des Theaterplakats für ihre Vorstellung.
„Das Ereignis“ aus der Muchas Epopöe ist nicht eindeutig. Die bildnerisch starke Stellen wechseln die Inszenierungsbanalitäten (Szenen aus Cafés oder Pariser „Künstlerheim“) beinahe im Verhältnis eins zu eins. Die beiden Autoren haben ganz offensichtlich eine persönliche Beziehung zu Mucha, was ihrer Arbeit sympathisches Pathos verleiht, das auf den tschechischen Bühnen nicht oft vorkommt. Aber: zwischen gefeiertem Patriotismus und potentiellem Nationalismus gibt es nur eine dünnliche Linie... Jedenfalls dem Mut des Stadttheaters Brno und seinem Weg nach Entdeckung von neuen Formen des tschechischen Theaters ist es zu huldigen.
Muchas Epopöe – ein bisschen anderes Musical, in dem man nicht singt
Peter Stoličný 21. September 2010 zdroj musical-opereta.cz
Das grundlegende Herantreten der Autoren an das Werk war sehr klug. Die Schöpfung von Alfons Mucha ist ziemlich „profaniert“. Seitdem die Zügel der technischen Möglichkeiten des Drucks gelöst wurden, treffen wir „Mucha“ auf Tassen, Aussichtskarten, Kalendern. Ein Mucha wird auch aus Kaffeemühle und sein Dekor finden wir sogar auf Nachttopf oder zusätzlichem Rückspiegel bei Lastkraftwagen. Die Bildner (Szene Šimon Caban, Kostüme Simona Rybáková) kopierten ganz richtig kein einziges Jugendstilornament auf die Bühne. Alles erfolgt in reinen und oft transparenten weißen Flächen, wo wir nur lebendige Gestalten und Gruppen sehen, deren Stil an jenen von Mucha gemalten erinnert. Der Librettist, Bühnenbildner und Regisseur in einer Person wusste mit dem transparenten Gewebe und Licht zauberhaft zu arbeiten, manchmal umhüllte er die Szene in Helldunkel und bildete wirkungsvolle Atmosphäre aus; er „atmete“ mit der Musik.
Besondere Aufmerksamkeit gebührt der Musik. Aleš Březina ist als Autor der Musik für mehrere erfolgreiche tschechische Filme bekannt. Und in Muchas Epopöe konnte er wahrscheinlich mehr frei arbeiten als bei der Schöpfung für Film. Aus seinem Werk ist die Schöpfungsfreiheit und gleichzeitig Disziplin zu fühlen (Die Freiheit ist erkannte Notwendigkeit – Wer sagte es? Spinoza...?). Březina fürchtet nicht, unterschiedlichste Genres, von Sequenzen großer symphonischer Gedichte ala´ Tschaikowski über wilden Rock der achtziger Jahre und Wiener Walzen bis zu Jazz und Chanson auszunuten. Es ist eine farbenreiche und vielfältige Musik, durch vereinigende Schrift des Komponisten verbunden. Manchmal donnert sie im riesigen Orchestereinklang, nach einem Moment klingt sie intim, von einem einzigen Instrument interpretiert.
Der Librettist und Regisseur in einer Person ließ seinen Gestalten unterschiedlichen Raum. Der größte gehört ganz natürlich der Titelgestalt, dem Maler Alfons Mucha. Er wird von Michal Isteník mit Lust und ungewöhnlicher Energie dargestellt. Ein wenig Expressivität passt ihm in dieser „großen Leinwand“ gut. Und sehr guter Partner für ihn ist sein Freund Luděk Marold in der Darbietung von Jaroslav Matějka. Spontane Lebensfreude, die die beiden vorführen, weckt Neid. So schön und ungestüm leben... Es muss wunderschön sein! Die anderen Gestalten sind in der Geschichte schon weniger dominant; jeder fasste seine Rolle so auf, dass gerade die beiden tschechischen Maler im Vordergrund stehen. Es sind auch die schön geschriebenen und dargestellten Gestalten von Gauguin (Stano Slovák) oder Mme Charlotte (Lenka Bartolšicová) oder des Verlegers (Dušan Vitázek) zu erwähnen.
In die Geschichte, die mit ihrer Struktur an ein Leporello erinnert (wirklich, und das stört gar nicht), ist auch eine dramatische Gestalt, klassischer negativer Held, eingeordnet. Er heißt Vroubek und er wird von Tomáš Sagher mit Vergnügen dargestellt. Und er ist wirklich eine Auffrischung in dieser Falt-Epopöe. Vroubek ist erfolgloser Maler, der sich durch das Leben von Alfons Mucha durchwindet, um endlich erfolgreicher tschechischer Politiker und in seinem Neid unermüdlicher Feind des talentierten und erfolgreichen Mucha zu werden. Ich habe keine Ahnung, wer das Vorbild dieser Gestalt war, ich würde doch sagen, dass es „kleiner tschechischer Charakter“ war.
Die Epopöe von Šimon Caban und Aleš Březina wird auch trotz einigen meinen Vorbehalten zum Libretto ganz sicher eine erfolgreiche Inszenierung des Stadttheaters Brno sein. Es ist kein Durchschnittswerk und betrat den nicht einfachen Weg der Suche nach neuen oder mindestens anderen Formen der musikalisch-dramatischen Kunst. Ich halte ihm also den Daumen.
Für Tschechen besser außen aus mit ihnen
Jiří P. Kříž 20. September 2010 zdroj Právo
Das Stadttheater Brno lebte durch das Schicksal des Malers Alfons Mucha auf
Ein weiteres großes Werk von Šimon Caban, beinahe sein Autorenwerk - Regie, Choreographie, Szene, Libretto - ist die große Freske Muchas Epopöe im Stadttheater Brno. Zu einem „visuellen musikalisch-dramatischen Erlebnis“, wie die offizielle Charakteristik lautet, wurde die Inszenierung vom Aleš Březina erhoben. Wahrscheinlich ist es unnötig, die Autoren vorzustellen. Caban, aus der Pražská pětka, vor allem aus der Balletteinheit Křeč bekannt, ist ein vielseitiger Bühnenautor. Březina wurde nicht nur dank seiner Musik zu den Filmen von Jan Hřebejk, sondern vor allem dank seiner Oper Zítra se bude… (Libretto Jiří Nekvasil) - für Soňa Červená in der Gestalt von Milada Horáková - berühmt. Červená mit Vlastimil Harapes besuchte auch die Uraufführung von Muchas Epopöe in Brno und zusammen mit den anderen Zuschauern war sie Zeuge eines weiteren musikalisch-szenischen Stücks, mit dem das Stadttheater Brno langfristig alles übersteigt, was bei uns in diesem Bereich geschieht.
Über ewigen Widerspruch zwischen der Größe der Individualitäten und dem kleinen tschechischen Charakter ist auch das Leben dieses weltberühmten Malers, der zu Hause ein Ziel der Verleumdungen war. „In Paris war meine Arbeit für die Tschechen angenehmer als unter ihnen...,“ so beschwerte sich Mucha. „Mangel an Kenntnissen wird durch Arroganz und Übermut ersetzt. Deshalb ist es hier so neblig...“ Woran erinnern Sie sich dabei? Kundera, Salivarová, Škvorecký, Haas, Voskovec, Forman, Martinů, Kubelík… Wer nicht springt, ist kein Tscheche?!
Muchas Epopöe beobachtet Alfons auf jedem seinem Schritt, von seiner Entscheidung Maler zu werden, über Paris und New York bis zu seiner Rückkehr in die Heimat, an Anfang der Schaffung seines Lebenszyklus von großen Leinen, welche die Geschichte von Slawen und ihre Mythen feiern. Es ist kein Zufall, dass die Tschechen sich über diese Bilder bis heute streiten, ohne dass Prag imstande ist, das Testament von Mucha zu erfüllen.
Die Kraft von Muchas Epopöe strömt aus dem visuellen, choreographischen und musikalischen Plan. Caban lässt sich durch die Bilder und Zeichnungen des Malers nur inspirieren. Er gliedert den Raum in seine eigenen großartigen Kompositionen. Die Kopien der unerreichbaren Originale werden durch die Andeutung ersetzt. Ein empfindliches Ohr entdeckt dann in Březinas Musik, in großen Orchesterkompositionen, die Anklänge des für den verschwindenden Romantismus typischen Monumentalismus und die Anklänge des kommenden Impressionismus, sowie Hinweise an unsere Geschichte, zum Beispiel in provokativen Solos der Schlaginstrumente.
Patriotismus und Patriotismusspiel Schon während der Pause hörte ich in den Couloirs, dass Michal Isteník kein Alfons Mucha ist. Im Unterschied vom Original ist er doch kein Prachtkäfer. Es gilt aber für ihm dasselbe, was für die Szene von Caban: keine Kopie. Im Grunde genommen ist er doch ein ausgezeichneter Schauspieler, um den Unterschied zwischen dem Patriotismus und Patriotismusspiel zu deklarieren. Ich würde sagen – vom Michal Isteník ist es ausgezeichnet ausgedrückt. Von den anderen Gestalten verdient Markéta Sedláčková als Muchas Lebensliebe Marie Chytilová und als ein Fratz sich verhaltende Sarah gelobt zu sein. Und auch Stanislav Slovák in der Gestalt des ungestümen Impressionisten Gauguin und Jaroslav Matějka als Maler Marold. Gegen ihrer Größe dann die Hinterhältigkeit des typischen „Tchechleins“ Vroubek in der Darbietung von Tomáš Sagher.
Es ist ein ausgezeichneter Eintritt in die neue Theatersaison. Nach der Schule, das Fundament des Lebens von Hana Burešová, für weite Zuschauergemeinde bestimmt, ist hier die ausschließliche musikalisch-dramatische Form von Caban und Březina. Patriotisch!
Muchas Epopöe ist auf der Bühne aktuelle, doch nicht wegen Balgerei
Luboš Mareček 20. September 2010 zdroj MF Dnes
Mit einem interessanten Projekt rückte das Stadttheater Brno am Wochenende heraus. Die Inszenierung Muchas Epopöe dreht sich um den weltberühmten Mahler in einem ein bisschen anderen Geiste herum. Und den diskutierten Zyklus werden Sie in ihm nicht sehen.
Die Lebensschicksale des Landsmanns aus Ivančice und die kompromisslosen künstlerischen sowie nationalistischen Stellungen des Genius, der die Welt eroberte – das ist das Thema dieser ungewöhnlichen musikalischen Vorstellung des Librettisten, Regisseurs und Bühnenbildners Šimon Caban. Die Musik zu Muchas Epopöe wurde von Aleš Březina geschrieben. Und in der beinahe drei Stunden dauernden Vorstellung ist es ihr wirklich genug, sie ist beinahe allgegenwärtig.
Im Untertitel bezeichneten die Autoren die Muchas Epopöe als ein visuelles musikalisch-dramatisches Erlebnis. Und es ist vielleicht unnötig, über das Genre zu spekulieren. Es ist doch nützlich zu bemerken, dass in Brno kein Musical oder Oper entstand – auf die Zuschauer wartet keine einzige gesungene Passage. Es handelt sich auch um kein Melodrama, sondern um ein eigenartiges Theater, in dem die Geschichte durch ausgezeichnete Musik durchgedrungen ist, welche nicht nur die Handlung auf der Bühne koloriert. Die gelungene Musik von Březina erfüllt oft die stimmungsbildende Funktion, ein andermal beschreibt sie die Umgebung, was in dieser nicht zu viel sprechender Vorstellung eine große Devise darstellt. Manchmal führt der Musikant Březina den Zuschauer zu dem Erzähler Caban und das Ergebnis ist ein wirklich anziehender musikalisch-dramatischer Duft.
Talentierter und arbeitsamer MannCaban versucht, eine Freske der Schicksale dieses außerordentlichen Manns auszubilden, dessen Leben frei von Liebesaffären, drastischen Peripetien oder Schicksalstragödien war. Desto schwieriger war seine Aufgabe, wenn er versuchte, das dramatische Material aus dem Porträt des fleißigen, talentierten und arbeitsamen Malers zu modellieren. Dieser ist der Nationalfrage der Tschechen und der Welt der Slawen anfangs mehr ergeben als seiner Lebensliebe Marie.
Caban hebt aus Muchas Biographie vor allem seinen reinen Charakter, Harmlosigkeit und altruistische Natur hervor, die er dem Publikum in weiteren Zusammenhängen vorstellt. Hier handelt sich nicht nur um einen genialen Jugendstilautor, dessen Plakate jeder kennt. Im Textbuch konturiert er die Momente des stolzen Tschechentums, allgemeinen Streit des professionellen und privaten Lebens, lebenslange Ergebenheit seiner Heimat und Nation. Was liegt daran, dass viele diesen Themen für unsere Zeitgenossen altväterisch und pathetisch sind.
Seine Ehrlichkeit und Arbeitsamkeit im Kontrast mit dem Opportunismus (Muchas Kollege und später auch erfolgreicher Politiker Vroubek) und unnachgiebiger Dienst der Schönheit sind ebenso zeitlos wie die nicht nachlassende Pracht Muchas Plakate, Leine und Skizzen.
Kein Ersäufen in OrnamentenCaban gruppiert in dieser Inszenierung voll von Menschen die Szenen geschickt um. Außer dem Porträtieren der berühmten Schauspielerin Sarah Bernhardt lässt er nie Muchas Ornamentalität auf die Bühne zu kommen, damit die zentrale Botschaft in ihr nicht ertrinkt. Der Zuschauer sieht keine einzige Bildreproduktion, nur Andeutungen der monumentalen Leinen.
Diesen mutigen Kerl in mährischer gestickter Jacke kennt die ganze Welt dank seinen phantastischen Dekorationen und Schnörkeln, Plakate-Gismonden, bis heute hergestellten Ringen, Broschen, Halsketten. Dieser weltweite Erfolg war Ergebnis nicht nur des außerordentlichen Talents und der Fleißigkeit von Mucha sondern auch seiner menschlichen Natur, und damit ist der Meister vielleicht noch mehr strahlend als seine faszinierende Bilder und Schmucke. Das ist das Credo der Inszenatoren.
Caban beendet Muchas Bühnenweg etwa im Jahre 1910, wann er begann, auf dem Schloss Zbiroh sein bekanntes Slawisches Epos zu bilden, um das heute Prag und Moravský Krumlov kämpfen. Diesen Fakt lässt dieses unnötig langes und später auch dramatisch ein bisschen einförmiges Stück völlig beiseite. Und es ist gut, dass Caban und Březina diesen berühmten Mährer in einem ganz anderen Geiste erinnerten, als er heut profaniert oder medialisiert ist.